Lettische Soldaten wollen das G36 behalten
19.03.2016
Alle vertrauen dem „Schmelzgewehr“
Die ZDF-Heute-Show inszenierte vor knapp einem Jahr das Heckler&Koch-Duell: „Zwei Kandidaten beschießen sich [aus nächster Nähe] live mit dem G36 und wir senden so lange, bis einer trifft.“ Damit veralberten die TV-Satiriker Meldungen in den Medien. Demnach schieße „die berühmteste Knarre Deutschlands“, das Sturmgewehr, mit dem die Bundeswehr und andere Armeen seit Jahrzehnten ausgestattet sind, bei Hitze und Dauergebrauch daneben. Aus der Standardwaffe der deutschen Armee sei ein „Schmelzgewehr“ geworden, spottete Hauke Friedrichs von zeit.de. Jens Berger von nachdenkseiten.de witterte hingegen eine aus dem Verteidigungsministerium gesteuerte Medienkampagne gegen die Schnellfeuerwaffe aus schwäbischer Produktion: Das G36 sei für die Wehrpflichtigen einer Verteidigungsarmee hergestellt worden. Nun soll aber laut Politikersprech Deutschland „mehr Verantwortung“ übernehmen, also sich mehr an Kriegen in aller Welt beteiligen. Dafür reiche laut Berger, der nicht als Freund von Heckler&Koch (HK) bekannt ist, ein Standardgewehr, das nicht auf Dauerfeuer ausgelegt ist, nicht mehr aus. Um die Anschaffung teurerer Spezialgewehre zu rechtfertigen, habe man Mängel beim alten G36 erfunden. Die Skandalmeldungen machten bis zu den lettischen Militärs die Runde. Auch die lettische Armee hat das G36 seit 2006 in ihrem Bestand. Sie verwendete es in Afghanistan, wo es zu keinen Beanstandungen gekommen sei. Demnächst sollen auch Grenzschützer und Nationalgardisten damit ausgerüstet werden. Das Gespräch mit einem Bundeswehr-General bekräftigte diesen Beschluss.
Auch litauische Soldaten benutzen das G36, Foto: Von Grippen - Eigenes Werk, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=11292124
Neue Anforderungen
Sargs.lv, die Informationsseite des lettischen Verteidigungsministeriums, beschreibt den Gebrauch des G36: „Die Waffe wird sowohl in Lettland unter kalten und feuchten, als auch unter heißen klimatischen Umständen bei internationalen Operationen in Asien und Afrika eingesetzt. Es wurden nur geringfügige technische Probleme festgestellt, beispielsweise die Beschädigung des Plastikgewehrkolbens, wenn man das Sturmgewehr unter kalten klimatischen Bedingungen verwendet.“ Generalleutnant Raimonds Graube sprach über die angeblichen technischen Probleme mit seinem deutschen Kollegen Markus Kneip. Die Webseite zitiert den Bundeswehr-General: Kneip sei selbst zweimal Kommandeur in Afghanistan gewesen. Er bestätigte, dass deutsche Soldaten das G36 bei internationalen Einsätzen, u.a. im afrikanischen Mali, benutzten. Im Hinblick auf die Berichterstattung zum angeblichen Schmelzgewehr betonte der Deutsche, dass das G36 nicht den neuesten Anforderungen entspreche. Diese hätten aber nicht bestanden, als die Bundeswehr 1995 beschloss, das Gewehr anzuschaffen. Damals sei das leichte Gewicht das wichtigste Kriterium gewesen. Möglicherweise werde die Bundeswehr im nächsten Jahr neue Gewehre bestellen, deshalb teste man derzeit einen neuen Prototyp des G36, der die neuen Anforderungen erfülle.
Lettische und litauische Soldaten üben mit dem G36, Foto: Von Ministry of National Defence Republic of Lithuania - http://www.kam.lt/images/7023, GFDL, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=9983183Sogar Saudi Arabien kauft G36
Sargs.lv interviewte zudem den HK-Manager Nicola Marinelli. Das Produkt seiner Firma habe in den neunziger Jahren vollständig den Vorgaben entsprochen. Die Waffe sollte ein geringes Gewicht haben und leicht bedienbar sein. Sie sollte unter verschiedenen Umständen funktionieren: Bei Hitze, Kälte, Staub und Dreck. Die ganze Zeit über seien alle mit diesem Gewehr zufrieden gewesen. Doch vor zwei Jahren sei HK informiert worden, dass man bei der Bundeswehr über neue Anforderungen rede. Das deutsche Verteidigungsministerium ließ neue Tests durchführen, die das G36 nicht bestanden habe. Seine Firma sei über die neuen Anforderungen erst vor einigen Monaten unterrichtet worden. Nun wolle das Ministerium ein Gewehr, das 150 Schüsse in 12 Minuten abfeuern könne. Dabei solle die Trefferwahrscheinlichkeit auch bei kleinen Zielen über 90 Prozent liegen, auch wenn sich die Waffe nach Dauerfeuer erhitze. Das G36 konnte diese Trefferquote nicht erreichen und darüber sei die Presse informiert worden. Zugleich habe das Ministerium vier Kommissionen gebildet und in keiner konnten Probleme mit dem Standardgewehr festgestellt werden. Unter den 400 Befragten seien Bundeswehrangehörige in Afghanistan gewesen. Alle hätten bekundet, der Waffe hundertprozentig zu vertrauen. Auf die Frage, ob man das Gewehr auch in Mali benutzen könne, wo auch lettische Soldaten im Einsatz sind, meinte Marinelli, dass auch die Spanier es unter den heißen klimatischen Umständen ihres Landes ohne Beschwerden einsetzten. Die Deutschen hätten 20.000 Exemplare den kurdischen Peschmerga geliefert, um gegen den „Islamischen Staat“ zu kämpfen. Die Kurden seien zufrieden. HK habe die G36 auch an Saudi Arabien geliefert und die Käufer ermuntert, eigene Tests durchzuführen. In allen 35 Staaten, deren Armeen die HK-Waffe benutzten, habe es keine Probleme gegeben, auch in der Bundeswehr nicht. HK habe nun einen ersten Prototyp entwickelt, der den neuen Kriterien entsprechen soll. Marinelli wollte das Gewehr nicht als Verbesserung bezeichnen, es entspreche lediglich den veränderten Vorgaben. Dafür müsse man Plastik durch Aluminium ersetzen und den Kühlmechanismus verbessern, das bedeute, dass die neue G36 schwerer werde. Die Letten wollen die leichtere Version der G36 behalten. Da das Gewehr 20 Jahre lang Garantie hat, wird ein Austausch erst im Jahre 2026 aktuell.
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