Think Tank Providus fordert Nachbesserungen bei den lettischen Asylbestimmungen
09.11.2017
Die meisten Geflüchteten verlassen Lettland nach kurzer Zeit wieder
2015 verpflichtete sich die lettische Regierung gegenüber der EU, im Rahmen deren Umsiedlungsprogramms innerhalb von zwei Jahren 531 Asylsuchende aus anderen Ländern aufzunehmen. Die Frist lief am 26. September 2017 ab. Bis dahin hatte Lettland aber lediglich 346 Menschen Zuflucht gewährt. 295 kamen aus Griechenland, 186 aus Italien und 50 aus der Türkei (lsm.lv). Im Gegensatz zu anderen mittelosteuropäischen Ländern akzeptierten die Balten damit immerhin, wenigstens einer begrenzten Zahl von Geflüchteten dauerhaftes Asyl oder eine befristete Aufenthaltsgenehmigung zu gewähren. Doch die Aufgabe ist noch nicht erfüllt. Innenminister Rihards Kozlovskis betonte, dass seinem Land nun zwar keine Strafe drohe, es aber nicht von der Pflicht entbunden sei, weiter Menschen aufzunehmen. Doch schon mit der Versorgung der Aufgenommenen tun sich staatliche Stellen schwer. Die LP berichtete bereits, dass die Mehrzahl der Zufluchtsuchenden Lettland nach kurzer Zeit wieder verlässt (LP: hier). Sie suchen in Deutschland oder Schweden ihr Auskommen, wo sie Verwandte haben und leichter Jobs finden. Agnese Lace und Rasmuss Filips Geks, Mitarbeiter des Think Tanks Providus, erkennen die Bemühungen der lettischen Regierung an. Mit ihrem Aktionsplan von 2015 sei sie im Prinzip auf dem richtigen Weg. Doch der müsste noch verbessert werden, damit die anerkannten Flüchtlinge nicht schon nach kurzer Zeit wieder das Weite suchen (providus.lv).
Geflüchtete an der griechisch-mazedonischen Grenze, Foto: Bundesministerium für Europa, Integration und Äusseres - Arbeitsbesuch Mazedonien, CC BY 2.0, Link
Bei der staatlichen Jobagentur sind lediglich 37 der 346 registriert. Von den übrigen ist nicht bekannt, ob sie sich überhaupt noch in Lettland aufhalten. 20 von ihnen erhielten bislang Jobs in der Holz- oder Bauwirtschaft, in Gärtnereien oder Restaurants. Antra Jansone, die sich im Arbeitsamt um Geflüchtete kümmert, hält es für möglich, dass andere auf eigene Faust Arbeit gefunden haben (lsm.lv). Bis zum 1. September 2017 erteilten die Behörden lediglich zehn Personen als politisch Verfolgte unbefristet Asyl, 302 erhielten als Kriegsflüchtlinge einen „alternativen Status“, der auf ein Jahr befristet ist und dann jährlich erneuert werden muss. 150 Geflüchtete mit zuerkanntem Bleiberecht sind Kinder, die von der Jobagentur nicht registriert werden.
Innenminister Kozlovskis hält es für wahrscheinlich, dass die Mehrheit von ihnen nicht im Land geblieben ist. Dann gebe es das Problem, dass manche Familien zurückkommen. Sie werden beispielsweise von deutschen Behörden zurückgeschickt. Für die Rückkehrer bleiben dann nur noch lettische Obdachlosenasyle, die nicht für Familien geeignet sind. Der Politiker sieht die Obdachsuchenden in der Verantwortung. Menschen suchten tendenziell bessere Lebensumstände und gingen deshalb natürlich lieber nach Deutschland als nach Lettland. „Doch ich bin der Ansicht, dass ein Mensch, der vor Krieg flieht, daran interessiert sein müsste, sich zu integrieren.“ Der Staat könne keine Integration erzwingen. Allerdings muss er den Betroffenen die Mittel dafür bereitstellen. Dies geschieht bislang nur in unzureichendem Maß.
Die Providus-Mitarbeiter Lace und Geks loben den Aktionsplan, der vor zwei Jahren noch zur Regierungszeit von Laimdota Straujuma beschlossen wurde. Erstmals wird die Aufnahme von Asylbewerbern geregelt. Doch der Plan müsse weiter entwickelt werden. Da ist zunächst das auf ein Jahr befristete Aufenthaltsrecht, an das sich weder der Krieg in Syrien noch die gewaltsamen Unruhen im Irak halten. So leben die Geflüchteten ständig in der Unsicherheit, ihr Aufenthaltsrecht zu verlieren. Hinzu kommt das Problem, dass sie nur während ihres Bewerbungsverfahrens im Asylbewerberheim von Mucenieki wohnen dürfen. Sobald sie anerkannt sind, müssen sie es verlassen.
Von den Sozialleistungen, die der Staat danach gewährt, lässt sich nur schwer eine Mietwohnung finden. Den Umgesiedelten fehlt auch Geld, um Fahrtkosten zu bezahlen, wenn sie sich beispielsweise vom Verein „Drosa maja“ juristisch beraten lassen wollen. Zudem müsste die Regierung mehr Sprachkurse finanzieren. Die Mängelliste, die Providus erstellt, ist noch weitaus länger. Die Probleme, die sich den Betroffenen auftun, stellen für die Integration ein beträchtliches Hindernis dar. Providus appelliert an Politik und Gesellschaft, sich nicht auf die Abreise jener zu verlassen, denen in Lettland Obdach zuerkannt wurde, sondern sie finanziell so weit zu unterstützen, dass ihnen der Neuanfang im fremden Land gelingt. Trotz der Verschwiegenheit der Politiker in Wahlkampfzeiten: Das Thema ist nach wie vor brisant: In Griechenland befinden sich gerade Geflüchtete im Hungerstreik, weil sie zu ihren Familien nach Deutschland wollen (dlf.de).
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