„Bauernverbände und allen voran der Chemiekonzern Bayer protestierten vehement“
In der Debatte dessen, was die PR des Bayer-Konzerns, "das sogenannte `Bienensterben`" nennt, beschwichtigt der Pestizid-Hersteller die Öffentlichkeit: "Damit ein Pflanzenschutzmittel zugelassen wird, muss es eine Reihe von Tests durchlaufen. Erst wenn das Produkt in Labor- und teilweise auch in Freilandprüfungen genauestens untersucht wurde, wird es als `bienensicher` ausgewiesen. Bei korrekter Anwendung stellen unsere Pflanzenschutzmittel keine Gefahr für Bienen dar,“ heißt es auf der hauseigenen Webseite (bayer.de). Allerdings ist Bayer daran interessiert, dass die „Reihe von Tests“ nicht allzu lang wird. 2013 verschärften Experten der EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit Efsa die Bienenschutzleitlinie. Seitdem prüft Efsa auch die langfristigen Risiken von Pestizideinsätzen bei Honigbienen, für deren Larven und erstmals werden die Auswirkungen des chemischen Pflanzenschutzes auf Hummeln und Solitärbienen berücksichtigt. (efsa.europa.eu) Aufgrund der Efsa-Regeln verbot die EU im letzten Jahr die Anwendung dreier Neonikotinoide im Freiland, weil sie auch Bienen vergifteten. Zwei dieser Produkte wurden von Bayer hergestellt. Die Manager des Leverkusener Konzerns und die Lobbyverbände der Bauern wehren sich nun gegen die überarbeitete Efsa-Leitlinie und betreiben deren Entschärfung. Taz-Journalist Jost Maurin stellte dazu fest: „Bauernverbände und allen voran der Chemiekonzern Bayer [...] protestierten vehement. Jetzt will die Lobby verhindern, dass die strengen Bienenleitlinien auch auf andere Pestizide angewendet werden. Bayer brandmarkte die von der Efsa aufgestellten Regeln als `nicht praktikablen Leitlinienentwurf`. `Dieser macht es unmöglich, Freilandstudien durchzuführen, ohne dabei Risiken zu finden`, beklagte sich das Leverkusener Unternehmen und machte wie Konkurrenten Druck bei EU-Regierungen.“ (taz.de) Die Lobbyarbeit zeitigt Erfolge. Laut EU-Kommission seien 18 Mitgliedstaaten bereit, die Regeln der eu-eigenen Behörde nur teilweise anzuwenden. Auch das lettische Landwirtschaftsministerium scheint geneigt, einer Entschärfung der Leitlinie in den nächsten Wochen zuzustimmen. Lettische Naturschutzverbände fordern das Ministerium auf, sich für deren volle Anwendung einzusetzen.
Die lettische Umweltschutz-Front verläuft ähnlich wie in Deutschland: auf der einen Seite ein Landwirtschaftsministerium, das sich an den ökonomischen Interessen der Bauernverbände orientiert, auf der anderen die Naturschutzorganisationen. Ringolds Arnitis, der 2018 Parlamentarischer Staatssekretär des Landwirtschaftsministeriums war, begründete damals im Lettischen Radio, weshalb sein Ministerium dem vollständigen Neonikotinoidverbot im Freiland nicht zustimmen und Ausnahmen durchsetzen wollte: Lettland gerate gegenüber anderen Ländern in Nachteil, wenn die sogenannten „Neoniks“ nur noch in Treibhäusern erlaubt seien, das käme nur polnischen und anderen Landwirten im Ausland zugute: „In unseren Treibhäusern arbeitet man mit biologischen Methoden. Wir brauchen diese Stoffe dafür nicht, aber sie werden draußen auf den Feldern benötigt.“ Andrejs Briedis, Vorstandsmitglied der Umweltschutzorganisation Latvijas Dabas Fonds, kritisierte, dass das Landwirtschaftsministerium rein ökonomisch, nicht wissenschaftlich argumentiere. (lsm.lv)
Inzwischen wechselte die Regierung, das Landwirtschaftsministerium wird nicht mehr von Janis Duklavs (Union der Grünen und Bauern), sondern seit Januar von Kaspars Gerhards (Nationale Allianz) geführt. Doch auch unter neuer Leitung scheint das Ministerium bereit, der Agrarlobby entgegenzukommen. Am 20. Mai trifft sich in Brüssel die entsprechende EU-Arbeitsgruppe, um über eine eventuelle Entschärfung der Efsa-Leitlinie abzustimmen. Für das Landwirtschaftministerium formuliert Vents Ezers gegenüber der EU-Kommission die lettische Position. Er glaubt, dass erst im Sommer über die Leitlinie entschieden wird. „Die EU-Kommission könnte am 20. Mai über Pläne und die weitere Richtung informieren, allerdings dürfte die Abstimmung aller Voraussicht nach erst im Juli [also nach der Europawahl] erfolgen. Und die Abstimmung könnte dann über den Teil der Leitlinie stattfinden, der möglicherweise umgesetzt wird. Auch wir unterstützen eine stufenweise Einführung, denn in der ganzen EU und in Lettland muss man sich um die Blütenbestäuber kümmern […].“ Ezers befürwortet zwar eine Risiko-Bewertung bestehender Pestizidanwendung, will aber, so lässt sich aus dieser Aussage schließen, die sofortige Umsetzung der gesamten Leitlinie verhindern.
Andrejs Briedis fordert die „verantwortlichen Institutionen Lettlands“ dazu auf, nicht gegen die Umsetzung der gesamten Leitlinie zu agieren. Briedis` Umweltschutzverband hat sich mit dem Lettischen Bienenzüchterverein und dem Kompetenzzentrum für Ökodesign zusammengetan. Die drei Organisationen unterstützen eine Petition, die die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten zur vollen Einhaltung der Efsa-Leitlinien auffordert. Der langfristige Einfluss von Pestiziden auf Honigbienen, Hummeln und Solitärbienen soll so, wie es die Efsa vorsieht, erforscht werden, zudem die Pestizidkonzentration im Boden sowie die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Pestiziden. Solche chemischen Erzeugnisse sollen nur noch dann angewendet werden, wenn keine schonenderen Alternativen vorhanden sind. Bislang haben mehr als 230.000 Bürger für diese Petition im Internet votiert (simofus.org).
Briedis kritisiert das Verhalten der EU-Kommission und der einzelnen Regierungen: „Es ist unverzeihlich, dass die Mitgliedstaaten und die EU-Kommission aus Unentschlossenheit die Umsetzung der `Bienenleitlinie` verzögern. Ob wir tatsächlich in einer Situation, in welcher sich auf der Welt die Insekten vermindern, darunter die Zahl der Blütenbestäuber und die Artenvielfalt, uns davor fürchten, dass wir zuviel tun könnten, um Bienen und anderen Bestäubern zu helfen? Die Anwendung der `Bienenleitlinie` ist wesentlich, um die landwirtschaftlichen Pestizidschäden an den Bienen zu verringern, und das ist nur einer von vielen Schritten, die wir in die Tat umsetzen müssen, um die Welt vor dem Verlust biologischer Artenvielfalt zu bewahren, über deren kritischer Zustand ein Bericht des UN-Weltbiodiversitätsrats (IPBES) [Anfang Mai] informierte.“ (ldf.lv)
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