Andris Piebalgs: Lettlands Mann in Brüssel will bleiben
31.08.2009
Andris Piebalgs,
Foto: EU-Kommission
Einen Tag nach dieser Ankündigung griff der studierte Physiker und Mathematiker in die lettische Diskussion um ein eigenes Atomkraftwerk ein. Lettland bezieht derzeit noch Strom aus dem litauischen AKW Ignalina. Dessen Tage sind gezählt, auch wenn litauische Politiker versuchen, die Schließung des Reaktors hinauszuzögern. Der EU-Beitrittsvertrag verpflichtet die Regierung in Vilnius, diesen betagten Atommeiler vom Netz zu nehmen. In einem Interview für Latvijas Radio vom 27.8.09 äußerte sich Piebalgs skeptisch zu lettischen Plänen, ein eigenes AKW zu bauen, sprach von einer “sehr, sehr geringen Wahrscheinlichkeit, falls diese Option überhaupt besteht.”
Zuvor hatte der Präsident der Wissenschaftlichen Akademie Lettlands, Juris Ekmanis, erneut gefordert, dass sein Land ein eigenes AKW baut. Er warnte vor einem Energiedefizit in Nordeuropa nach dem Jahr 2025, das man mit erneuerbaren Energien nicht ausgleichen könne. (Lettische Nachrichtenagentur LETA, 19.8.09).
Die Rhetorik, mit der Piebalgs lettischen Atomplänen widerspricht, klingt für deutsche Ohren ungewöhnlich. Da ist von “Träumen” und “Spaß” die Rede, als müsse Piebalgs postsowjetische Technokraten von einer Vision aus den 60er Jahren befreien: “Viele Länder träumen vom eigenen Reaktor, doch das ist ein teurer Spaß, das ist eine riesengroße Investition und dann stellt sich die Frage, wer investiert und wer das bezahlt.” Er schätzt die Kosten auf fünf Milliarden Euro, die letztlich der Verbraucher tragen müsse.
Piebalgs (Mitte) und Parteifreund Ivars Godmanis ("Latvijas Cels/ Lettlands Weg") eröffnen die lettische EU-Vertretung in Brüssel, Foto: Europäische Kommission
Piebalgs ist kein entschiedener Gegner der Kernenergie, er nimmt an, dass Litauen ein neues AKW in Visaginas errichten wird, obwohl diese Technologie auch im Nachbarland längst umstritten ist. Doch die Zukunft ist für den Kommissar keine radioaktiv strahlende, er setzt vielmehr auf Wind, Sonne und Biomasse: “Meiner Ansicht nach hat Lettland mit erneuerbarer Energie eine echte Marktnische, die Effektivität erneuerbarer Energien bietet uns riesige Reserven und Potenziale, und wir nutzen dann das, was wir haben – Land, den Rohstoff Holz und Arbeitskräfte. Mir scheint, dass dies der bessere Weg ist.” Dabei kritisiert er, dass teils aus finanzpolitischen Erwägungen, teils wegen des Widerstandes des lettischen Stromversorgers Latvenergo zuwenig Anreize für alternative Energieversorger bestünden.
Um seine Landsleute für seine Energiepolitik zu gewinnen, spielt der ehemalige Lehrer deutsche gegen amerikanische Klischees aus. In seinem Blog vom 30.4.09 beruft er sich ausdrücklich auf den kalifornischen Gouverneur Arnold Schwarzenegger und nicht auf "bärtige deutsche Umweltschützer”. Von ihm stamme die Einsicht, dass grüne Technologie ein hohes Potenzial biete, die Wirtschaftskrise zu überwinden. Offenbar wirkt das austroamerikanische Mannsbild auf Lettinnen und Letten überzeugender als die deutsche Müsli-Fraktion.
Piebalgs, der von Interviewern als zurückhaltend, gar schüchtern beschrieben wird, verfolgt auch in Brüssel seinen eigenen Kurs. Deutsche Stromkonzerne schockierte er 2007 mit dem Plan, ihnen die Kontrolle über ihre Netze zu entziehen, um wirklichen Wettbewerb zu ermöglichen. Doch der damalige Bundeswirtschaftsminister Michael Glos stellte sich auf die Seite der Stromlobby und blockierte Piebalgs` Schocktherapie, die vorsah, den europäischen Strommarkt verbraucherfreundlicher zu regulieren.
Ins europäische Rampenlicht geriet der Lette erneut, als Russland und die Ukraine begannen, über unbezahlte Gaslieferungen zu streiten. “Die Furcht vor kalten Heizkörpern hat Piebalgs seither zu einem der gefragtesten Männer in Brüssel gemacht.” (Financial Times Deutschland). Sein Russisch ist im Kontakt mit Kreml-Politikern nützlich. Auch seine britischen, französischen und deutschen Kollegen kann er in ihren Muttersprachen ansprechen. Vielleicht hilft ihm sein Sprachtalent und sein diplomatisches Geschick, noch so manchen Punktsieg gegen den Lobbyismus der großen EU-Staaten zu erzielen.
Joggen durch Brüssel:
Der Energiekommissar mit seiner Ehefrau
Foto: Europäische Kommission
Externe Linkhinweise: Piebalgs-Porträt der Financial Times Deutschland vom 19.9.07 |
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