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Lettland: Kein neuer Zug in Sicht – Verhandlungen zwischen dem spanischen Bahnbauer CAF und der lettischen Eisenbahn sind gescheitert
06.10.2012


Auf dem Rigaer Bahnhof34 Elektro- und sieben Diesel-Triebzüge sollten ab 2015 das lettische Eisenbahnnetz befahren. Doch es scheint inzwischen nur wenig wahrscheinlich, ob Passagiere in naher Zukunft schneller und bequemer unterwegs sind. Die lettische Regierung hatte der staatseigenen Pasažieru vilciens (PV) und dem spanischen Bahnkonstrukteur Construcciones y Auxiliares de Ferrocariles S.A. (CAF) eine Frist bis zum 3. Oktober gesetzt. Bis dahin sollten sich die Unternehmen auf einen neuen Vertrag geeinigt haben. Den alten, der im April geschlossen wurde, hatte die EU-Kommission nicht akzeptiert. Die Mitfinanzierung durch den EU-Kohäsionsfonds für die größte Investition in die lettische Eisenbahn seit 1991 bleibt fraglich. Auf öffentlicher Bühne zeigen sich verantwortliche Politiker, Beamte und Vorstandsmitglieder ohne Reue. Journalisten mutmaßen über Machenschaften hinter den Kulissen, auch vom Oligarchen Aivars Lembergs ist die Rede.

Lettische Passagiere müssen sich bislang mit alten oder erneuerten Zügen aus der Sowjetzeit begnügen, Foto: LP

Auch keine Selbstkritik in Sicht

Die Züge sollen 144 Millionen Lats (206,2 Millionen Euro) kosten. 100 Millionen Lats (143,2 Millionen Euro) könnten aus dem Kohäsionsfonds kommen, das übrige Geld müsste PV aufbringen. Doch die Anschaffung ist nur der kleinere Teil der Vertragssumme. Auch von einer umstrittenen 30jährigen Wartungsvereinbarung ist die Rede, die die Gesamtkosten auf 429,24 Millionen Lats (610,76 Millionen Euro) erhöht. Umstritten ist bei diesem Vertrag vieles, doch vieles bleibt auch Spekulation. Denn der Vertragstext ist geheim. Die Änderungsvorschläge, die PV der Firma CAF vorschlug, haben die Spanier zurückgewiesen. So müssen lettische Journalisten recherchieren, ob und in welchem Maß das Geld der Bürger ohne wirklichen Gegenwert vergeudet oder missbraucht wird. Auch die lettische Vertreterin der EU-Kommission, Inna Šteinbuka, wollte zur Kritik ihrer Behörde in der TV-Talksendung Sastregumstunda vom 26.9.12 keine Einzelheiten nennen. Die übrigen Diskussionsteilnehmer, darunter der ehemalige PV-Vorstandschef Nils Freivalds und Aivars Lo?melis, Vorstandsmitglied und Mitbesitzer des Waggonwerks R?gas Vagonb?ves r?pn?ca (RVR), das gemeinsam mit CAF die Züge herstellen soll, zeigten sich selbstbewusst und von der Richtigkeit des eigenen Handelns überzeugt.

RVR-Gelände in Riga

Am Gelände der RVR in Riga, Foto: LP

 

RVR-Beteiligung um jeden Preis

Nils Freidenfelds erhielt den PV-Vorstandsposten, als noch ein Politiker der Partei Za?o un Zemnieku savien?ba, Union der Grünen und Bauern (ZZS), Verkehrsminister war. Die ZZS gilt als langer Arm des Bürgermeisters von Ventspils, Aivars Lembergs. Die Ir-Journalistin ermittelte Erstaunliches: Freivalds besetzte das Komitee, das für die Ausschreibung der Passagierzüge zuständig war, neu. Die von ihm eingesetzten Mitglieder änderten die Kriterien. Das Ziel war offenbar, dass allein CAF im Rennen blieb. Die Spanier sind bereit, mit der lettischen Waggonbaufabrik RVR zu kooperieren. Konkurrent Bombardier war zuvor abgesprungen, weil diesem Zugbauer eine Zusammenarbeit mit dem maroden und verschuldeten Werk im Rigaer Stadtteil Purvciems zu riskant schien. Das Angebot der Schweizer Zughersteller von Stadler entsprach nun nicht mehr den geänderten Kriterien. Stadler wollte gemeinsam mit einem Waggonwerk in Daugavpils die Züge bauen und klagt nun wegen Wettbewerbsverzerrung. Freivalds bestand auf die Zusammenarbeit mit CAF und hielt eine Änderung des Vertrags nicht für notwendig. Warnungen aus Brüssel ignorierte der PV-Chef. Erst als die EU-Kommission drohte, die Mitfinanzierung zu streichen, trat Freivalds am 18.5.12 zurück.

Caf-Zug in Bilbao

CAF-Metrozug in Bilbao, Foto: Daniel Erler (Reveal) auf Wikimedia Commons


Es geht um den Fortbestand der RVR

Anita Brauna ermittelte bereits in einem früheren Artikel, dass Qualität und Preis des CAF-Angebots fraglich sind. In ihrer weiteren Recherche vom 13.6.12 fand sie heraus, dass besonders die privaten Besitzer der RVR an diesem Geschäft interessiert sind. Vor dem Publikum verlautbaren sie, dass so hunderte neuer Arbeitsplätze in ihrem Werk entstehen und dem Staat viele Millionen Steuern zufließen werden. Doch hinter den Kulissen treibt sie vor allem die Sorge, die maroden Werkshallen ihrer Firma vor dem Konkurs zu bewahren. Bislang erneuern die Rigaer Waggonbauer lettische Züge, die noch aus der Sowjetzeit stammen. Die Manager zeigen sich zwar überzeugt, dass ihre Mitarbeiter mit der Hilfe von CAF nun auch neue Passagiertriebwagen bauen könnten. Mehr als 60 Prozent der Produktion sollen die Rigaer Waggonbauer übernehmen. Doch dieser lettische Anteil erschwert offenbar die Verhandlungen. Brauna ermittelte, dass der von der EU kritisierte Vertrag die staatliche Eisenbahngesellschaft benachteiligte. CAF hätte demnach Züge, die Defekte aufweisen, nicht von der staatlichen Gesellschaft PV zurückkaufen müssen. Grund für diese Klausel könnte das Misstrauen der Spanier gegenüber ihren lettischen Partnern sein, ob diese überhaupt imstande sind, hinreichende Qualität zu liefern.

Aivis Ronis

Der parteilose Verkehrsminister Alvis Ronis ließ den alten PV-Vorstand lange gewähren, Foto: Valsts kanceleja

 

Spekulationen hinter den Kulissen

Die investigative Webseite pietiek.com vermutet, dass der RVR schon bald der Konkurs drohe, wenn das Geschäft mit CAF nicht zustande kommt. Die Webseite erinnert daran, dass die RVR-Besitzer ihr Unternehmen im Mai 2012 verpfändete – und zwar an die inzwischen bereits bankrotte Latvijas Kr?jbanka für einen Kredit von 12 Millionen Euro. Der Konkursverwalter besteht auf die Rückzahlung. Bislang wartet er ab, ob CAF sich mit seinen lettischen Vertragspartnern einigt. Pietiek skizzierte zudem die eigenartigen Besitzverhältnisse der Aktiengesellschaft RVR. 67 Prozent ihres Kapitals gehören einer Mysea Enterprises Limited, die in Zypern registriert ist. Einen weiteren Anteil von 24,75 Prozent halten RVR-Vorstandsmitglieder über ihr Unternehmen SIA Holdinga komp?nija FELIX. Vorstandsmitglied Aivars Lo?melis gab sich gegenüber Pietiek überzeugt, dass die Waggonbaufabrik im Rigaer Stadtteil Purvciems auch ohne die Zusammenarbeit CAF weiter bestehen werde. Zu den eigenartigen Besitzverhältnissen wollte er sich nicht äußern. Die Stichworte „Zypern“ und „Offshore“ nähren Spekulationen, ob Oligarchen mitmischen. Pietiek hat den Verdacht, dass Mysea Enterprises Limited zugunsten des Milliardärs Wladimir Antonov Geschäfte tätigt. Er war Inhaber der bankrotten Kr?jbanka. Auch der Oligarch aus Ventspils, Aivars Lembergs, soll von der zyprischen Holding profitieren. Pietiek kann aber keine Belege vorlegen. Lo?melis weist diesen Verdacht entschieden zurück. Sogar den Rücktritt des nationalkonservativen Justizministers Gaidis B?rzi?š im Juni hatten manche Journalisten mit den Streitereien um die Zugkäufe begründet: Er sei in Wirklichkeit ein Politiker, der die Interessen Lembergs` vertrete. Anita Brauna fand heraus, dass noch heute im staatseigenen PV-Vorstand einige Mitglieder Aivars Lembergs nahestehen. Der neue parteilose Verkehrminister Aivis Ronis ließ die PV-Manager lange walten. Pietiek fragte im März 2012, ob Aivars Lembergs für die Vermittlung zwischen RVR und CAF drei Millionen Lats kassiert habe. Lembergs bestritt solche Einnahmen und wies alle Vorwürfe von sich. CAF- und PV-Vertreter werden sich jetzt wohl zu einem Schlichtungsverfahren in Stockholm treffen und manche finden, dass Lettland mit einem Ausbau des zwischenstädtischen Busnetzes besser bedient wäre.

 

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Externe Linkhinweise:

ir.lv: SM: Vienošan?s ar CAF par vilcieniem nav pan?kta

ir.lv: Sap?u vilcieni vai... murgs

nra.lv: CAF vajag v?l 15 dienas, lai saska?otu vilcienu iepirkuma l?guma groz?jumus

pietiek.com: Vilcienu l?guma nenosl?gšana „RVR” draudot ar maks?tnesp?jas piepras?jumu; p?r Freivaldu aps?dz?bas ?na

pietiek.com: Vai Lembergam ticis 3 miljonu „otkats” par CAF uzvaru vilcienu iepirkum??




 
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