Latviešu Centrs Minsterē

   

Lettische Schlagzeilen des Sühnemonats 2010
26.02.2010


Rigaer Schneenacht im FebruarNun möchte der Autor dieser Zeilen nicht so tun, als sei er in der altrömischen Geschichte weitaus beschlagener als Guido Westerwelle. Es ist nur rasch angelesenes Wissen in einem Wikipedia-Artikel über den Februar. Demnach geht der Name des kürzesten Monats auf ein römisches Sühne- und Reinigungsfest zurück. So passt der Monat recht gut zu Tagen des Fastens, peinlicher Geständnisse in katholischen Kreisen und protestantischen Promillediskussionen. Auch die Chefs der Rigaer Verkehrsbetriebe werden vielleicht noch bereuen, dass sie gerade das Vertrauen ihrer Kundschaft einbüßen. Ihre aufwändig eingeführten etalons erweisen sich als Kunden-Nepp. Aufrichtiger zeigten sich die Katholiken der Suiti-Region: Sie lassen sich nicht gefallen, dass die Schweine-Industrie ihre Gegend verseucht und protestieren offenbar erfolgreich dagegen. Noch muss Rigas Vizebürgermeister Ainārs Šlesers nicht bereuen, große Pläne mit deutschen Investoren zu schmieden. Er zeigt sich zuversichtlich, dass die Frankfurter Messegesellschaft ihm einen Traum verwirklichen wird. 
 
Rigas zugefrorener Stadtkanal im Februar, Foto: UB
 
 
etalons in Riga: Ein teurer Spaß zulasten der KundschaftLettischer Rechnungshof kritisiert fragwürdige Rigaer Edelfahrkärtchen

Der Staatliche Rechnungshof (Valsts kontrole) bemängelte Anfang Februar das elektronische Fahrkartensystem etalons, das die Verantwortlichen der Rigaer Verkehrsbetriebe, Rīgas satiksme (RS), im letzten Jahr eingeführt hatten. Bereits das Wort talons scheint unglücklich gewählt, erinnert es die Letten doch an die düstersten Jahre sowjetischer Mangelwirtschaft, als Ware nur gegen Gutscheine, eben talons, erhältlich war. Die Rechnungsprüfer beobachteten, dass die elektronischen Fahrkarten dem Kunden nur Nachteile bringen, während die Vorteile der neuen Technik ungenutzt bleiben. Obwohl die gelben und blauen etalons-Kärtchen Teil einer Rationalisierungsmaßnahme sind, die Busschaffnern den Job kostete, verteuerten sich die Fahrpreise in der Deflationszeit weiter. Noch steht nicht fest, ob Korruption oder mangelnde Fachkenntnis oder beides dieses Ärgernis verursacht haben. Die Antikorruptionsorganisation Delna forderte den Rigaer Bürgermeister Nils Ušakovs auf, zu den Vorwürfen des Rechnungshofs Stellung zu beziehen.

Diese modernen Plastikkärtchen brachten den Fahrgästen nur Nachteile. Foto: UB

Wer sich an einem Rigaer Kiosk ein etalons-Mehrfahrtenkärtchen besorgt, sollte nicht darauf hoffen, für eine gewisse Zeit im Stadtgebiet freie Fahrt zu haben: Jede Busbenutzung wird einzeln verbucht. Wer umsteigen, also zwei Busse benutzen muss, zahlt doppelt, mag die Gesamtstrecke noch so kurz sein. Das war in Riga eigentlich schon immer so und vor fünf Jahren, als eine Einzelfahrt noch schlappe 20 Santīms (28 Eurocent) kostete, war dagegen kaum zu meckern. Doch inzwischen wurden zunächst konventionelle Stempelautomaten, dann etalons eingeführt. Jetzt muss der Fahrgast bereits 45 Santīms pro Fahrt berappen – wenn er sich ein 20-Fahrtentalons am Kiosk besorgt. Wer keinen Ticketverkauf in der Nähe findet, dem knöpft der Busfahrer nun schon 70 Santīms ab. Die Preiserhöhungen sind vor allem inflationsbedingt, aber offenbar hat auch Misswirtschaft in den Vorstandsetagen ihr Scherflein dazu beigetragen.

Nach Angaben von delfi.lv gründete RS gemeinsam mit Affiliated Computer Services Solutions France S.A.S die Tochterfirma Rīgas karte und benötigt in den nächsten 13 Jahren fast 100 Millionen Lats (140 Millionen Euro) höhere Ausgaben, um dem Fahrkartenkauf ein modernes Flair zu verpassen. Tatsächlich wirken die kreditkartenartigen etalons, die die kleinen gelben Registrierautomaten in den Bussen ohne Berührung zum Piepen bringen, wesentlich schicker als die alten Abreiß-Billets mit Laufnümmerchen, die früher die Schaffnerinnen den Fahrgästen in die Hand drückten.

Doch die lettischen Rechnungsprüfer wollen an der magischen Piepserei keinen rechten Gefallen finden. Statt dessen erforschen sie die fragwürdige Auftragsvergabe, bei der sich RS nicht an das Ausschreibungsverfahren der eigenen Satzung hielt. Ohne sichtbaren Grund wählten die Verantwortlichen das Angebot eines Anbieters, das 1,064 Millionen Lats teurer war als das der Konkurrenz. Zudem hätte die kommunale Gesellschaft für ihr Vorhaben EU-Gelder beantragen können, auch das unterblieb.

Bei den etalons-Betriebskosten zeigen sich die obersten Stadtwerker ebenso spendabel. So berechneten sie für einen Zeitraum von 13 Jahren viel höhere Millionensummen, als selbst die beteiligten privaten Geschäftspartner zuvor veranschlagt hatten. Diese werden aber nichts dagegen einzuwenden haben, denn die Mehrkosten fließen ihnen als Dividenden zu. Bei soviel Freigebigkeit kommt ein kleines Zubrot gerade recht: RS zwang mehrere Monate lang Fahrgäste, die keine Monatskarte besaßen, sich die teuren Fahrscheine beim Busfahrer zu besorgen, denn die günstigeren Mehrfahrtentalons waren damals noch nicht zu kaufen. So bezahlte die Kundschaft 594.221 Lats zuviel – zuwenig, um die zirka 7,5 Millionen Lats Dividenden zu decken, die in den nächsten Jahren fällig werden.

Einen ökonomischen Sinn können die Prüfer in solchen betriebswirtschaftlichen Entscheidungen nicht erkennen. Nun interessiert sich auch die lettische Antikorruptions-Organisation Delna für den Sachverstand des RS-Vorstands. Delna-Leiterin Laura Miķelsone schrieb am 11. Februar Bürgermeister Ušakovs einen offenen Brief. Warum hat die Kommune bei der Überwachung des Geschäftsgebarens ihrer Verkehrsgesellschaft versagt? Nun reicht die etalons-Affäre weit in die Vergangenheit zurück und Ušakovs muss jetzt Vorgänge erläutern, für die er noch nicht lange die Verantwortung trägt. Die Elektronik war bereits in den Bussen installiert, als seine Partei Saskaņas centrs (Zentrum der Eintracht) zusammen mit der Latvijas Pirmā partija (Lettlands Erste Partei) im Juni letzten Jahres die Macht übernahm. Bevor sich der Lettische Rechnungshof für diese Machenschaften interessierte, hatten die hauseigenen RS-Kontrolleure keine Unregelmäßigkeiten feststellen können. Das erinnert schon an Meldungen aus der Klüngelhauptstadt Köln. Nun hat der Rigaer Bürgermeister zugesagt, nicht nur die stadteigenen Finanzbehörden, sondern auch unabhängige Gutachter mit dem Fall zu beauftragen. Ob dies wirklich zur Aufklärung führt? Oder wird man der Öffentlichkeit ein Bauernopfer präsentieren? Waren sich die Verantwortlichen überhaupt ihrer Fehlentscheidungen bewusst? Letten munkeln, dass nicht der Sachverstand, sondern die Parteiräson darüber entscheidet, wer es bis an die Spitze staatlicher oder kommunaler Unternehmen schafft. 

 

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Die Suiti-Bewohner stießen beim Stadtrat auf Verständnis

Das Rathaus von Kuldiga, Foto:Christopher Voitus auf Wikimedia Commons

 

Suiti-Bevölkerung gegen dänische Schweinereien

Die Nachrichtensendung Panorama und die Tageszeitung Diena berichteten am 25.2.10 vom Protest der Bewohner des Ortes Gudenieki, der nach der Gebietsreform des letzten Jahres dem Bezirk der Stadt Kuldīga angehört. Vor dem Rathaus dieser ehemaligen kurländischen Hauptstadt demonstrierten 60 Bürger der Suiti-Region, von der der Ort Gudenieki ein Teil ist. Sie wenden sich gegen den Plan eines dänischen Unternehmers, der in ihrer Heimat einen Schweinemastbetrieb mit 54.000 Tieren in ihrem Schutzgebiet errichten will. An der Kundgebung in historischen Kostümen beteiligten sich auch Bürger aus Alsunga, Aizpute und Kuldīga selbst. Der Suiti-Bezirk, der etwa 400 Quadratkilometer und 2800 Einwohner umfasst, ist eine historische Region kurländischer Katholiken, die im 17. Jahrhundert trotz protestantischer Herzöge zur alten Konfession zurückkehrten. Ihr Grundherr Johann Ulrich von Schwerin war zum römischen Glauben übergetreten, um eine polnische Hofdame zu heiraten. Durch die Gebietsreform sehen sich die Nachfahren nun benachteiligt: Ihr Bezirk wurde zwischen den Städten Alsunga, Ventspils und eben Kuldīga aufgeteilt. Die Bürger von Gudenieki fühlen sich lokalpolitisch nicht mehr vertreten, denn kein Abgeordneter im Rat der Stadt Kuldīga stamme aus ihrer Region. Sie befürchteten nun, dass über das fleischindustrielle Bauvorhaben über ihre Köpfe hinweg entschieden würde. Doch ihr Protest hatte Erfolg: Kuldīga wird das Projekt nicht unterstützen. Die Suiti-Region, in der die Bewohner einen eigenen Dialekt sprechen, historische Kostüme tragen, traditionelle Riten und Tänze pflegen, steht seit Oktober 2009 auf der UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes, das dringend Schutz benötigt.


Externer Linkhinweis:

Webseite der Suiti-Region (englisch/lettisch)

 

In der Nähe des Flughafens soll das neue Messezentrum entstehen

Rigaer Flughafen, Foto: "ScAvenger" auf Wikipedia LV

 

Hurra, die Hesse komme

Der Rigaer Stadtrat stellte Ende Januar seine Pläne für eine deutsch-lettische Investition vor. Darüber berichtete das neue Nachrichtenportal citadiena.lv am 28. Januar. Demnach möchte die Stadtregierung gemeinsam mit Messe Frankfurt Venue ein Messezentrum in der Nähe des Rigaer Flughafens bauen und betreiben. Die deutsche Partnergesellschaft gehört der Stadt Frankfurt und dem Land Hessen. Sollte das Vorhaben gelingen, müsste Riga lediglich ein 35,6 Hektar großes Gelände dafür zur Verfügung stellen. Gemeinsam mit den Hessen wollen die hiesigen Stadtpolitiker zwei Gesellschaften gründen. Eine soll sich um die Baumaßnahmen, die andere um das operative Geschäft kümmern. Läuft alles nach Plan, wird das stadteigene Unternehmen Rīgas pilsētbūvnieks mit den Vertretern der Mainmetropole im März eine Absichtserklärung zur Zusammenarbeit unterzeichnen. Die Aufgabe der Deutschen wäre es demnach, sich auf die Suche nach weiteren Investoren zu begeben, zum Beispiel nach einer Hotelkette, die ein Gästehaus für die Messebesucher errichten könnte. Die citadiena-Journalistin Sanita Jemberga bezeichnet in ihrem Artikel das Gemeinschaftsprojekt mit der Frankfurter Messegesellschaft als alten Traum des Rigaer Vizebürgermeisters Ainārs Šlesers. Dieser habe schon zu seiner Zeit als Verkehrsminister von einer Kooperation mit den Deutschen geträumt. Er glaube, dass die Beteiligung der Messe Frankfurt den Erfolg garantiere.

Noch ist allerdings nicht klar, ob die Planer überhaupt genügend Interessenten und Besucher für neue Ausstellungsflächen finden werden. Doch Šlesers sei zuversichtlich, dass ein investierter Euro verfünffacht in die Wirtschaft zurückkehre. Nicht nur die Einnahmen der Messegesellschaft, sondern auch eine verbesserte Infrastruktur, der Anstieg der Besucherzahlen in der Baltenmetropole sowie neue Arbeitsplätze seien ein Gewinn. Zahlen legte der stellvertretende Bürgermeister nicht vor: “Wir sind für das Geld nicht verantwortlich.” Aber der Ausstellungsmanager Viesturs Tīle wies darauf hin, dass die Investoren in der Regel finanzielle Garantien von staatlicher oder kommunaler Seite forderten. Doch diese lehnt der Rat derzeit ab. Dabei ist dieses deutsch-lettische Vorhaben nicht das einzige Messeprojekt, das am Rigaer Flughafen verwirklicht werden soll. Der norwegische Investor EBO plant nach Angabe von citadiena.lv bereits die Miniaturstadt RIXPORT mit Büros, Hotels und Ausstellungshallen, die 5000 Menschen fassen könnte. EBO wäre dies eine Investition von 400 Millionen Euro wert. Nun wird über eine Zusammenlegung der Bauvorhaben spekuliert.


Externer Linkhinweis:

citadiena.lv: Artikel zum geplanten Messegelände (lettisch)

 

UB




 
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