Wahl in Lettland am 4.10.14: Viele Parteien und kaum Auswahl - Ein Kommentar
02.10.2014
M?ra Z?l?te richtete am 30.9.14 einen dramatischen Appell an die lettisch(sprachige) Öffentlichkeit: Im Lettischen Fernsehen LTV bezeichnete die populäre Schriftstellerin eine Nichtbeteiligung an der Parlamentswahl am kommenden Samstag als unmoralisch. Dabei bezog sie deutlich Position: Für Z?l?te kommen nur lettisch orientierte Parteien, also Mitte-Rechts-Parteien, in Frage. Eine Regierungsbeteiligung der "prokremliska partija", des sozialdemokratischen Saska?as Centrs, will sie verhindern. Der Friede in Europa sei illusorisch, Russland beabsichtige die Erneuerung der Sowjetunion. Die kremlorientierte Wählerschaft sei sehr geschlossen, die lettische hingegen gespalten. "Wir müssen uns nicht verbiegen und uns an irgendwelche politisch korrekten Gesinnungen halten, als ob die Trennungslinie nicht entlang der Sprache oder der ethnischen Zugehörigkeit verläuft. Diesmal ist es leider so - die Grenze verläuft im großen Maß entlang der ethnischen Linie." - Nicht nur diesmal - das war bislang eigentlich immer der Fall. Lettlands politische Eliten spielen gern die "ethnische Karte", meint der Politologe Juris Rozenvalds. Dies führe zur Stagnation und zu einem fragwürdigen Verständnis von "links" und "rechts".
Sitzungssaal des lettischen Parlaments. Foto: Latvijas Republikas Saeima
Parteien ohne Alternativen
Die russischstämmigen Wähler konzentrieren sich auf zwei Parteien, neben dem sozialdemokratischen Saska?as Centrs (Zentrum der Eintracht) könnte auch die linke Latvijas Krievu savien?ba (Lettlands Russenunion) ins Parlament einziehen (nach letzten Wählerumfragen ist dies aber unwahrscheinlich). Die Zahl der Parteien, die die lettische Sache vertreten, ist größer. Dennoch haben lettisch orientierte Wähler keine wirklichen politischen Alternativen, ganz im Sinne Margaret Thatchers, die einst "There is no Alternative" propagierte. Dass mehrere ähnliche lettische Mitte-Rechts-Parteien um die Macht kämpfen, ist der Konkurrenz innerhalb der Elite geschuldet. Daraus ergeben sich keineswegs Grundsatzdebatten um den richtigen politischen Kurs. In der hiesigen Politsprache bedeutet "kreisi/ links" gleich "prorussisch" - und "labi/ rechts und gut" ist dagegen die richtige Position. Rozenvalds beschrieb in einem Interview mit LTV1 am 29.9.14 die Folgen dieses Denkens: Er beklagt die politische Stagnation. Der ethnische Streit um die richtige Geschichtsdeutung und der Sprachkonflikt verdrängen die Diskussion über brisante politische Fragen. Eine Konkurrenz um politische Ideen findet nicht statt. Seit der Unabhängigkeit regierte ununterbrochen eine Vielzahl lettisch orientierter Parteien. Aber sie verfolgten einhellig wirtschaftsliberale Ziele. Rozenvalds resümiert das Resultat: Aus Lettland wurde das Land mit der größten sozialen Ungleichheit innerhalb der EU.
Die Regierungspartei Vienot?ba (Einigkeit) stellt u.a. den Außenminister. Edgars Rink?vi?s gehörte der Reformu partija an, dem politischen Senkrechtstarter der Neuwahlen von 2011. Diese wiirtschaftsliberale Partei hat schnell ihren Glanz verloren, ihre Politiker suchen nun bei der Vienot?ba eine neue politische Heimat, das ist vom Parteiprogramm her kein Problem. Dieses Plakat wirbt für größeres Selbstbewusstsein und Sicherheit in Europa. Foto: LP
Der Nation halber mitte-rechts wählen?
Welche Partei würde M?ra Z?l?te einem lettischen Arbeitnehmer empfehlen, der wenig Lohn erhält, unter schlechten Arbeitsbedingungen leidet, sozial kaum abgesichert ist und keine Mitbestimmungsrechte hat? Unter den lettischen Parteien wird er keine finden, die konsequent seine Interessen vertritt. Soll er sie dennoch wählen, um die Nation zu retten? Seit Jahrzehnten bauschen beide politische Lager den ethnischen Konflikt auf. 2004 verabschiedete die Saeima ein Gesetz, das den Gebrauch des Russischen als Unterrichtssprache an den Minderheitenschulen drastisch einschränkte. Jüngst macht sich sogar in der liberalen Regierungspartei Vienot?ba der Gedanke breit, den Russischstämmigen das Recht auf eigene Schulen ganz zu nehmen. Ein solches Drängen zur Assimilation ruft nur entsprechenden Widerstand hervor. Das gescheiterte Sprachreferendum von 2012, das Russisch als zweite Staatssprache vorsah, hat die Spaltung zwischen der lettischen Mehrheit und der russischstämmigen Minderheit erneut verdeutlicht. Die Stimmung habe sich seitdem deutlich verschlechtert, sagen Letten. Jetzt kommt der - von beiden Seiten - schwarz-weiß gezeichnete ukrainisch-russische Konflikt hinzu. Das bietet wieder Gelegenheit, sich gegeneinander in Stellung zu bringen. Es ist zu befürchten, dass die Stagnation noch lange andauert.
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Externe Linkhinweise:
lsm.lv: Politologs: Latvijas politikas liela probl?ma – saš?elt?ba p?c etnisk? principa
tvnet.lv: M?ra Z?l?te: Mums draud briesmas tieši šaj?s v?l?šan?s
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