Die Regierung von M?ris Ku?inskis - Teil 1: Regierungserklärung
19.02.2016
Am 11.2.2016 wählten die Saeima-Abgeordneten M?ris Ku?inskis zum neuen Ministerpräsidenten. Er folgt Laimdota Straujuma, die sich als Opfer einer Kampagne fühlte und im Dezember zurücktrat. Im ersten Teil soll die Regierungserklärung dargestellt werden. Welche Auswirkung hat die Vereinbarung, die Minister der Fraktionen Vienot?ba, Union der Grünen und Bauern (ZZS) und der Nationalen Allianz getroffen haben, auf die Situation des Landes, auf die internationalen Beziehungen, auf die EU und Nato? Was möchten Ku?inskis und seine Minister im Hinblick auf TTIP und Flüchtlinge erreichen? Die Regierungserklärung hat folgende vorrangige Ziele: Stärkung der Volkswirtschaft, staatliche Sicherheit und nationale Identität, Verbesserung der demographischen Situation, Lebensqualität der Familien, soziale Absicherung sowie Reformen in der Bildung, Wissenschaft und in der gesundheitlichen Versorgung. Was bedeutet das konkret?
M?ris Ku?inskis wurde von den Abgeordneten am 11.2.2016 zum neuen lettischen Ministerpräsidenten gewählt, Foto: Saeima.lv
Stärkung der Volkswirtschaft – Regierung will TTIP
Die Regierung erkennt, dass lettische Produktivität und Wertschöpfung nicht hinreichen, um den Arbeitnehmern Löhne zu zahlen, die dem EU-Durchschnitt entsprechen. Sie vertraut auf bekannte Rezepte. Das Wachstum soll sich beschleunigen, Unternehmer gefördert und Kapital, dieses scheue Reh, zur Investition gelockt werden. Die Minister warnen vor der „Einkommensfalle“: Die Löhne dürfen sich erst erhöhen, wenn zuvor eine höhere Wertschöpfung erreicht wurde. Steigen die Löhne unverhältnismäßig, verliert Lettland mit seinem kleinen offenen Markt gegen andere Länder Wettbewerbsfähigkeit, wie dies vor der Finanzkrise 2008 der Fall war. Um Produktivität und Wertschöpfung zu erhöhen, benötigen die Unternehmen Kapital. Der Wertpapierhandel soll stärker mit konkreten Investitionen verbunden, „alternative Finanzierungsinstrumente“, darunter Renten- und Anlagefonds, sollen in der Volkswirtschaft besser genutzt werden. Über ausländisches Kapital findet sich kein spezieller Hinweis. Der Regierungsplan sieht aber vor, Geldwäsche und Terrorfinanzierung zu verhindern. Die Minister wollen sich am Kampf gegen internationale Steuervermeidungsstrategien beteiligen. Aber auch die lettische Kapital- und Unternehmensbesteuerung ist eher niedrig. In der Steuerpolitik einigte man sich auf das liberalkonservativ Übliche: Kampf gegen Schwarzarbeit und gegen Betrug mit der Mehrwertsteuer. Im Herbst hatte Vienot?ba-Politiker K?rlis Šadurskis noch den Übergang von der Flattax zur progressiven Einkommensteuer prophezeit. Davon ist im Regierungstext nichts zu lesen. Die soziale Ungleichheit wird bedauert, aber nicht durch eine konsequente Steuerpolitik bekämpft. Auch an der Ausgabenseite wird sich wenig ändern: Das Kabinett will weiterhin „fiskale Disziplin“ üben – das heißt: Der vergleichsweise gering verschuldete lettische Fiskus fügt sich weiterhin bedingungslos dem EU-Fiskalpakt, gegen den keynesianisch orientierte Volkswirte Sturm laufen. Als Gegenleistung rechnen die Minister weiterhin mit EU-Fördermitteln, die effizient investiert werden sollen. International ist ein weiterer Punkt beachtlich: Die lettische Regierung, enger Verbündeter der USA, will TTIP, die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft. Hier der Paragraph 60 zu TTIP, ein Abkommen, das in Deutschland scharfe Proteste auslöst: „Gestalten wir eine maximale Integration der Europäischen Union in die transatlantischen Handelsräume. Wir werden eine Intensivierung der Verhandlungen über das TTIP-Abkommen unterstützen, um bessere Wettbewerbsbedingungen für Produzenten der EU zu erzielen und in Anbetracht lettischer Interessen in Bezug auf sensible Produktions- und Dienstleistungsbereiche und Produkte.“
Freiwillige Lettische Nationalgarde (Zemessardze), Foto: Lettische Staatskanzlei auf Wikpedia, Latvijas Republikas Valsts kanceleja - Ministru prezidents Valdis Dombrovskis v?ro Nacion?lo bru?oto sp?ku vien?bu milit?ro par?di 11.novembra krastmal?, CC BY-SA 2.0Staatliche Sicherheit und nationale Identität – Wehrbereitschaft gegen Russland und gesicherte Grenzen gegen Flüchtlinge
Identität und Wehrbereitschaft sind für die Regierung aufeinander bezogen. Lettlands Sicherheit sei mit einer auf gemeinsamen Werten basierenden Gesellschaft verbunden, welche das Zugehörigkeitsgefühl zum lettischen Staat, zur Sprache, Kultur und den Grundwerten eine. Zu Letzteren gehört das Militärische. Sie ist Teil der patriotischen Pädagogik: „Wir werden die Ausbildung der Jugendlichen zur staatlichen Verteidigung unterstützen, um bei den Heranwachsenden ein Bürger-Bewusstsein und patriotische Erziehung zu fördern, junge Nationalgardisten mit neuer Ausstattung zu versorgen und die Zahl ihrer Einheiten zu steigern,“ (Paragraph 78). Der Regierung ist die verkündete gesellschaftliche Geschlossenheit (die ethnisch und sozial eine Fiktion ist) bedeutend. Danach soll sich auch die Geschichtsforschung richten: „Wir werden Maßnahmen ergreifen und unterstützen, die die Geschlossenheit der lettischen Gesellschaft, das Zugehörigkeitsgefühl zum eigenen Staat und Liebe zum eigenen Land stärkt. Wir werden lettische Geschichtsforschung und -erklärungen sowie geeintes soziales Erinnern fördern,“ (Paragraph 68). Hier wird die nationalkonservative Handschrift sichtbar. Die Absicht, sich gegen Russland militärisch zu wappnen, hat internationale Auswirkungen. Im Osten Lettlands, an der russischen Grenze, sollen mehr Soldaten stationiert werden. Die Regierung will sich in der Nato engagieren und bereitwillig ausländische Nato-Soldaten zu Manöverzwecken aufnehmen. Paragraph 82 könnte zum Streit mit Deutschland führen: „Um die Sicherheit Europas und der nordöstlichen Nato-Region zu stärken, werden wir eine langfristige Präsenz der Nato-Verbündeten im Baltikum gewährleisten.“ Auch das Thema Flüchtlinge (stets nur "Migranten" genannt) wird im Kapitel Sicherheit abgehandelt. In den einführenden Sätzen zur Inneren Sicherheit heißt es: „Wir werden die Außengrenzen der EU stärken. Im Bereich der EU-Migrationspolitik beharren wir langfristig auf Ursachenbekämpfung dieser Krise, die den unkontrollierten Migrationsstrom aufhält, zugleich sind einheitliche und effektive Rückkehrmechanismen für Personen zu schaffen, die kein Anrecht auf einen internationalen Schutzstatus haben und sich illegal auf dem Territorium der EU aufhalten.“ Die Regierung lehnt eine verbindliche Flüchtlingsquote weiter ab, ist aber bereit, „freiwillig“ ein begrenztes Kontingent aus anderen EU-Staaten aufzunehmen. Der Paragraph 90 sieht vor: „Wir werden jeden nach Lettland gekommenen Asylsuchenden unter den Gesichtspunkten staatliche Sicherheit, gesellschaftliche Ordnung und Integration bewerten.“ Der Gedanke, dass Flüchtlinge und Migranten dazu beitragen könnten, die miserable demographische Situation zu verbessern, kommt lettischen Politikern nicht in den Sinn. Da jene, die die lettische Staatsbürgerschaft erwerben wollen, Lettisch können müssen, entspräche die großzügige Einbürgerung von Migranten und Flüchtlingen einem riesigen Lettifizierungsprogramm.
Und der ganze Rest: Verbesserung der demographischen Situation, Lebensqualität der Familien, soziale Absicherung sowie Reformen in der Bildung, Wissenschaft und in der gesundheitlichen Versorgung
Zwar erklärte Ku?inskis, dass die Reihenfolge der genannten Ziele nicht einer Rangfolge ihrer Bedeutung entspeche. Zwischen den einzelnen Themen bestehen enge wechselseitige Beziehungen. Die Absichtserklärungen zum Sozialen, Gesundheit, Bildung und Wissenschaft bleiben größtenteils wolkig. Substantive wie „Verbesserungen“, „Qualität“, „Konkurrenzfähigkeit“, „Absicherung“, „Programm“ werden mit Verben wie „gestalten“, „verbessern“ oder „verwirklichen“ zu Sätzen verrührt. Immerhin ließe sich in Paragraph 101 ein bedingungsloses Grundeinkommen hineinlesen (so wird es nicht gemeint sein): „Wir werden als motivierende Unterstützung ein garantiertes minimales Einkommensniveau einführen, bezogen auf die Lohnsteuer, Sozialhilfe, staatliche Sozialleistungen, gesetzliche Mindestrente und Arbeitslosenunterstützung.“ Um dem Bevölkerungsschwund entgegenzuwirken, planen die Minister die Förderung von Dreikind-Familien, also eine gestaffelte Wurfprämie, Paragraph 94: „Wir werden uns an einer zielgerichteten Politik des `dritten Kindes` orientieren. Wir werden stufenweise die staatliche Unterstützung für jene Familien je nach Größe erhöhen, in denen ein zweites – und insbesondere – ein drittes und weitere Kinder geboren werden.“ Der Kindermangel wird zum Problem der Landschulen. Die Regierung kündigt Schließungen an. Auch Bildung und Wissenschaft sollen u.a. der nationalen Identität dienen, gleichzeitig sich Lehrer und Wissenschaftler an den Erfordernissen des Arbeitsmarkts und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit orientieren. Man liest etwas über Budgeterhöhungen, aber deutliche Einkommensverbesserungen für Lehrer und Dozenten sind offenbar nicht vorgesehen. Die Gewerkschafter haben Anlass für weitere Proteste. Zuletzt widmet sich die Erklärung noch knapp dem unterfinanzierten Gesundheitsbereich. Immerhin stellt das neue Kabinett, das sich ja zur Vorgängerregierung bekennt, die schlechte Versorgung fest: „Die gesundheitliche Versorgung in Lettland aus Mitteln des staatlichen Budgets beansprucht bedeutend weniger Geld als in anderen EU-Staaten, deshalb gehören die durchschnittlichen Zuzahlungen der Patienten für medizinische Dienste zu den höchsten in Europa. Das beeinträchtigt wesentlich den Zugang zur medizinischen Versorgung und ist ein Ungleichheit verusachender Faktor im Gesundheitsbereich.“ Der BIP-Anteil der staatlichen Ausgaben für die Gesundheit soll gesteigert werden. Ob dieser Plan für zukünftiges Regierungshandeln die lettischen Staatsbürger begeistern wird, bleibt abzuwarten. Der zweite Teil wird darstellen, wie die Opposition und die politischen Beobachter Ku?inskis und seine Regierung einschätzen.
Externer Linkhinweis:
pkc.gov.lv: Deklar?cija par M?ra Ku?inska vad?t? Ministru kabineta iecer?to darb?bu (pdf)
Atpakaï