Lettland: Jahresrückblick 2018 - Teil 1: Januar bis Juni
26.12.2018
Rigas abendliche Skyline vom Pardaugava-Ufer, seit 2017 mit Monumentalflagge (LP: hier), Foto: LP. Die Stadtteile des westlichen Daugava-Ufers stehen für den modernen Teil der lettischen Hauptstadt gegenüber der Altstadt auf der anderen Uferseite. Eine Bank, die sich an der Finanzierung neuer Viertel beteiligte, musste Anfang des Jahres nach schweren Vorwürfen aus den USA Konkurs anmelden. Lesen Sie hier den ersten Teil des Jahresrückblicks, von Januar bis Juni.
Januar
lmars Poikans, Foto: CC BY 2.0, Saite
Das Jahr begann für Ilmars Poikans mit einer guten Nachricht. Der Informatiker hatte 2010 ein beträchtliches Datenleck bei der Steuerbehörde entdeckt und die Dokumente anonym veröffentlicht. Um sie zu finden, benötigte er keine speziellen Hackerkenntnisse, es handelte sich um einen Programmierfehler. Die Öffentlichkeit erfuhr dadurch, dass man in den Vorstandsetagen während der Krise, als die Regierung den Angestellten die Gehälter massiv gekürzt hatte, munter weiter verdiente. Die Polizei ermittelte, dass hinter dem Pseudonym "Neo" Poikans steckte, der sich danach wegen der Veröffentlichung von persönlichen Daten und Geschäftsgeheimnissen jahrelang in mehreren Instanzen vor Gericht verantworten musste, zuletzt sollte er gemeinnützige Arbeit leisten. Schließlich machte Staatspräsident Raimonds Vejonis der Sache ein Ende und begnadigte den Whistleblower, der zwar gegen das Gesetz verstoßen hatte, was aber in diesem Fall im gesellschaftlichen Interesse lag. *** Verteidigungsminister Raimonds Bergmanis ist fest entschlossen, das NATO-Ziel zu erfüllen und mindestens zwei Prozent des BIP für Rüstung auszugeben. Das bedeutet neue Waffen für die lettische Armee, nicht nur Panzerfahrzeuge und Radaranlagen, sondern auch sogenannte "Kleinwaffen" des deutschen Fabrikanten Heckler&Koch: G36-Gewehre. Kritiker werfen der schwäbischen Waffenschmiede skrupellose Geschäfte vor. Bei Kaufverhandlungen mit einer NATO-Armee scheint der Leumund des Anbieters aber keine Rolle zu spielen.
Lettland: Staatspräsident Raimonds Vejonis begnadigt Ilmars Poikans
Lettland kauft HK-G36-Gewehre für 13 Millionen Euro
Februar
Gottfried Bielenstein bei der Arbeit, Foto: Brigitte von Ungern-SternbergAm 10. Februar stirbt Gottfried Bielenstein. Trotz schwerer Erkrankung hat sich der Töpfermeister in den letzten Jahren vor seinem Tod noch einen Wunsch erfüllt: Er kehrte in die Heimat seiner Vorfahren zurück und gründete in der Nähe von Talsi eine Töpferwerkstatt, in der Behinderte eines Pflegeheims sich kreativ betätigen können. Alle warten stets gespannt, wenn der Spezial-Brennofen geöffnet wird und die gebrannten Tonprodukte zum Vorschein kommen. Menschen, die Gottfried Bielenstein trafen, war er stets freundlich gesinnt und er ließ sie von seinem Los nichts anmerken. *** Die US-Finanzbehörde FinCen beschuldigt die lettische ABLV-Bank, an Korruption und Geldwäsche beteiligt zu sein und das nordkoreanische Raketenprogramm mitfinanziert zu haben. Die Manager entgegnen vergeblich, sich in den letzten Jahren Kontrollen unterzogen zu haben. Kunden ziehen ihr Geld ab, die lettische Finanzaufsicht entzieht die Lizenz, so dass Lettlands drittgrößte Bank schon wenige Wochen nach den Vorwürfen aus Übersee Insolvenz anmelden muss. Damit verliert die lettische Wirtschaft einen wichtigen Investor, der u.a. ein neues Kunstmuseum finanzieren sollte. Ein weiteres Ereignis erschüttert in diesem Monat den lettischen Finanzmarkt: Ilmars Rimsevics, Leiter der lettischen Zentralbank, wird nach einer Hausdurchsuchung durch Korruptionsfahnder vorübergehend festgenommen, Bestechung wird ihm vorgeworfen. Rimsevics sieht sich als Opfer von Bankern, die sich ihre illegalen Geschäfte nicht verderben lassen wollen.
Vorübergehende Festnahme des Präsidenten der lettischen Nationalbank Ilmars Rimsevics
März
Maroder Treppenaufgang an der Vansu-Brücke, Foto: LPFußgänger bemerkten schon lange den maroden Zustand der Vansu-Brücke, die als eine der drei Straßenbrücken über die Daugava zu den Verkehrsadern der lettischen Hauptstadt gehört. Beton bröckelte, Stahl rostete. Schließlich fiel im frühen Morgengrauen von einer angebauten Fußgängertreppe ein Betonteil herab. Zum Glück befand sich niemand in der Nähe. Seitdem ist die Treppe gesperrt und harrt der Sanierung. Das 612 Meter lange Bauwerk wurde im Juli 1981 als „Gorki-Brücke“ eingeweiht. Damals galt sie als Errungenschaft moderner Ingenieurskunst: Sie blieb bis heute die weltweit längste von jenen Schrägseilbrücken, die mit einem einzigen markanten Pfeiler von 109 Metern Höhe auskommt. Ähnlich wie in anderen EU-Ländern verursacht sogenannte "Haushaltsdisziplin" Investitionsstau bei öffentlichen Einrichtungen, das bedeutet auch Sparen an der Sicherheit. *** Große Budgetsteigerungen sind hingegen für Militärisches vorgesehen. In Europa scheint derzeit Abschreckung in und Entspannung out zu sein. Ob dies die Welt sicherer und friedlicher macht, bleibt fraglich. Die Aufrüstungspläne der NATO führen zu neuen Kooperationen: Die Eurospike GmbH, ein Konsortium aus deutschen und israelischen Waffenproduzenten, wird der lettischen Armee Panzerabwehrraketen in Höhe von 108 Millionen Euro liefern. Den Letten wird eine Beteiligung an Forschung und Produktion in Aussicht gestellt.
Rigas Vansu-Brücke im maroden Zustand
Lettland: Verteidigungsminister Bergmanis kauft Spike-Raketen vom deutsch-israelischen Joint Venture
April
Im Jahr 2003 protestierten russischsprachige Schüler gegen die Beschränkung des Russischen als Unterrichtssprache, auch die damalige Gesetzesänderung verantwortete Karlis Sadurskis, Foto: ?????? - www.zapchel.lv. ??????????, CC BY-SA 2.5, Saite
Liepajas Metalurgs, einst größtes Unternehmen der westlettischen Hafenstadt, ist nun endgültig Geschichte. Der ruinöse internationale Wettbewerb auf dem Stahlmarkt, aber auch Managementfehler machten die lettischen Stahlwerker beschäftungslos. Zuletzt wollte niemand mehr das Werk zur Gänze kaufen und der Stolz der Firma, der millionenteure Elektroofen, für den man vor einigen Jahren einen Kredit aufgenommen hatte, musste unter Wert verkauft werden. *** Bildungsminister Karlis Sadurskis brachte ein Gesetz zur Schulreform ins Parlament ein. Fortan soll der Gebrauch der Unterrichtssprache Russisch an den Minderheitenschulen noch weiter beschränkt und an den Mittelschulen ganz verboten werden. Über das Für und Wider mag man streiten, doch es besteht der Eindruck, dass hier die lettischsprachige Mehrheit über die Köpfe der russischsprachigen Minderheit hinweg entscheidet. Sadurskis hat sich unter Russen den Spitznamen "der schwarze Karlis" eingehandelt: 2004 hatte er ebenfalls im Amt des Bildungsministers erstmals den Gebrauch des Russischen an den Minderheitenschulen eingeschränkt. Das hatte zur Entfremdung zwischen den ethnischen Gruppen beigetragen.
Lettland: Verwickelte Abwicklung von KKV Liepajas Metalurgs
Lettische Parlamentarier beschränken Russisch an den Minderheitenschulen
Mai
Denkmal für einen Fahrradweg in Riga, Foto: LP
Das Auto ist auch an der Rigaer Bucht ein begehrtes Produkt, viel Reklame fördert seinen Absatz. Wer Rigas verstopfte Straßen betrachtet, mag kaum glauben, dass Letten im Durchschnitt deutlich ärmer sind als Westeuropäer. Die Stadtplaner kümmerten sich hauptsächlich um motorisierten Individualverkehr. Doch allmählich ist ein Umdenken erkennbar, Radfahren in Riga ist nicht mehr überall lebensgefährlich. 1000 Radfahrer der lettischen Hauptstadt haben sich der internationalen Bewegung "critical mass" angeschlossen. Sie demonstrierten am 1. Mai mit einem Fahrradkorso für bessere Radwege und erinnerten die Stadtregierung an nicht eingehaltene Versprechen. *** Die EU-Kommission überprüft alljährlich die Haushaltsbeschlüsse der Euro-Mitgliedstaaten. Das kann man undemokratisch finden, weil damit das Recht nationaler Parlamente beschnitten wird, über das eigene Staatsbudget souverän zu entscheiden. Doch zuweilen kritisieren die Brüsseler die nationale Finanzplanung im Sinne der Einwohner eines Landes. Die EU kritisiert Lettland, weil die Regierung zuwenig unternimmt, um den Spalt zwischen Armen und Reichen zu verringern und die EU-Kommissare bemängeln außerdem, dass Lettland zuwenig für die medizinische Versorgung seiner Bürger ausgibt.
Juni
In der Nähe der Rigaer Brüderhofs begingen offenbar Profikiller einen Auftragsmord, Foto: Zhagatasligzda - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, LinkIm allgemeinen ist Lettland ein sicheres Pflaster. Auch wenn man häufig über lettisch-russische Streitigkeiten berichten muss: Die Stimmung bleibt meistens friedlich, zumindest gewaltlos. Dass ethnische Konflikte mit Gewalt ausgetragen werden, ist keine typisch lettische Erscheinung. Der Mord am Ehrenfriedhof Bralu Kapi in Riga ist kein alltäglicher Fall für lettische Verhältnisse. Das Motiv liegt wohl eher im Finanziellen begründet und die Täter, so vermutet die Polizei, sind Profikiller, vielleicht im Ausland angeheuert. Das Opfer hatte als Insolvenzverwalter über Existenzen entschieden, Millionensummen waren im Spiel. *** Die Hitze- und Trockenzeit macht auch lettischen Bauern zu schaffen. Besonders betroffen ist die westlettische Region Kurland, wo das Viehfutter auf den Feldern verdorrt und Bauern die hungernden Kühe zum Schlachthof bringen. Vertreter der Bauernverbände fordern die Verkündigung des Ausnahmezustands für ganz Lettland. So können die Landwirte auf staatliche Entschädigungszahlungen hoffen.
Lettland: Auftragsmord am Brüderfriedhof
Lettland: Landwirten macht die Trockenheit zu schaffen
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