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Ansprache der lettischen Parlamentspräsidentin Inara Murniece zum Nationalfeiertag
19.11.2021


Warnungen vor Hybridoperationen und Krieg

Parlamentspräsidentin Inara Murniece, Foto: Ieva Âbele/ Saeima

Der 18. November ist der Tag der lettischen Staatsgründung, die sich nun zum 103. Mal gejährt hat. An diesem höchsten lettischen Nationalfeiertag organisieren Staat und Kommunen zahlreiche Konzerte, Ansprachen, Paraden, Kranzniederlegungen, die das Fernsehen in Sondersendungen den ganzen Tag lang überträgt. Wegen der Pandemiekrise fanden die üblichen Veranstaltungen, vom morgendlichen Gottesdienst im Rigaer Dom bis zur abendlichen Festansprache des Staatspräsidenten mit Beschränkungen statt; doch das „grüne Regime“, das für Inhaber eines gültigen Covid-Zertifikats gilt, gestattete zahlreiche Zuschauer. Zum Ritual dieses Tages gehört die morgendliche Ansprache der Parlamentspräsidentin Inara Murniece in der Saeima. Sie erinnerte an die Gründungsgeschichte und hob dann zwei aktuelle Krisen hervor: Die Pandemie und die Lage an der EU-Ostgrenze (saeima.lv).


Murniece verglich den Kampf gegen Covid-19 mit einem Krieg, der durch Desinformation und Verschwörungstheorien und bösartige Fake News erschwert werde. Die Situation erinnere an das Ende des 18. Jahrhunderts, als schon mal eine besondere Art der Propaganda eingesetzt werden musste, um Menschen davon zu überzeugen, sich gegen Pocken impfen zu lassen. Nun müsse man in unterschiedlicher Weise berichten und überzeugen, weshalb man sich gegen Covid-19 impfen solle. "Die Ärzte sagen dazu: `Wir sind in diesem Krieg nicht um zu töten, sondern um Leben zu retten!` Und das Leben lässt sich einfach retten - mit der Impfung. Ich bitte, sich impfen zu lassen, wer es noch nicht gemacht hat."  


Murniece ist nicht nur besorgt, dass die Pandemie Leben kostet, sondern auch darüber, dass sich die politische Lage zuspitzt. "Die Pandemie verschärft die Beziehungen zwischen verschiedenen Gruppen der Gesellschaft und dem Staat. Bürger in ganz Europa sind erzürnt über ihre Regierungen. Die Regierungen werden der Unentschlossenheit beschuldigt, der Entschlossenheit, der Beschränkungen, deren Fehlen, der Forderungen, sich impfen zu lassen, des Zugangs zum Impfstoff, der Notwendigkeit, sich testen zu lassen. Tragisch ist es, dass wegen der Lügen und der Desinformation weiterhin Menschen sterben." Diese Pandemie sei für alle eine unvorhergesehene Herausforderung, die für die Gesellschaft zur Reifeprüfung werde: "Sie prüft unseren gesunden Verstand und die Fähigkeit zum kritischen Denken." Sie hofft darauf, dass der Krieg gegen den Virus nicht zum innergesellschaftlichen Kampf führt, zu Spaltung und Unnachsichtigkeit. "Ja, es bestehen Dinge, die wir nicht vorhersehen und kontrollieren können. Doch es liegt an uns, mit welcher Haltung wir in dieser Zeit mit den Mitmenschen weiterleben: Jeder verdient es, angehört und geachtet zu werden."


Ein weiterer unvorhergesehener Kampf findet nach Auffassung der Saeima-Präsidentin an der EU-Ostgrenze statt: "Zur Zeit ereignet sich eine noch nicht dagewesene Hybridoperation an den Außengrenzen der EU und NATO in Polen, die bewusst das belarussische Regime organisiert, das bestrebt ist, Tausende von Migranten in die EU zu schleusen. Die Provokationen richten sich auch gegen Lettland und Litauen. Unsere Pflicht ist es, unser Land zu schützen und wir kommen dieser Verpflichtung nach." Sie erwähnte den verhängten Ausnahmezustand im lettischen Grenzgebiet (der gewaltsame Pushbacks gestattet und die behördliche Weigerung beinhaltet, Asylanträge entgegenzunehmen, LP: hier) und den vermehrten Einsatz von Polizei, Nationalgarde und Militär. Aus ihren Worten geht hervor, dass sich die lettische Regierung und die Abgeordneten in Übereinstimmung mit ihren Partnern in der EU und NATO wähnen: "Über die Situation informieren wir fortwährend unsere internationalen Partner. Unsere Verpflichtung ist es, die Situation zu erklären und ihr Verständnis für den Ernst der Lage wächst. Ich darf behaupten, dass uns sowohl die Partner innerhalb der EU als auch in der NATO vertrauen. Die Situation an der belarussischen Grenze behandeln die baltischen Staaten in großem Einverständnis, um Polen zu unterstützen." Zudem glaubt die nationalkonservative Politikerin, dass Lettland im Sinne der gesamten EU handele. "Wir wissen, dass jeder Staat mit der Grenze beginnt. Die Grenze zu schützen, das ist die oberste Priorität! Derzeit ist unsere Verantwortung noch größer, denn wir schützen nicht nur unser Land, sondern auch die Außengrenze der EU und der NATO! Ich bin davon überzeugt, dass wir internationale Unterstützung für die Stärkung unserer Grenze erhalten werden." Lettland hat mit elf weiteren Staaten gefordert, dass die EU die Grenzzäune im Osten finanzieren soll (LP: hier).  


Dann sprach Murniece übergangslos von Europas demokratischen Werten, doch diese bezog sie nicht auf Flüchtlingsschicksale von Irakern, Syrern oder Afghaninnen, sondern auf belarussische Oppositionelle, die weiterhin unterstützt werden müssten, weil sie mit einem zunehmend brutaleren Regime konfrontiert seien. Schließlich erinnerte sie an die russische Krim-Annexion und warnte: "Regelmäßig wird der Waffenstillstand verletzt, erschallen Schüsse im Osten der Ukraine. Man hört, wie die USA die europäischen Partner vor einem möglichen russischen Angriff auf die Ukraine gewarnt haben, während Lukaschenko seine Migrationskrise anzettelt." Die von der Grenzkrise betroffenen Länder drängen auf eine Zusammenkunft der NATO, das wird nach Murnieces Auffassung ein bedeutendes Ereignis in der lettischen Hauptstadt: "Schon bald, am 30. November und 1. Dezember, wird erstmals in Lettland ein Treffen der NATO-Außenminister stattfinden. Neben der Bewältigung aktueller Herausforderungen für die Sicherheit werden auf dem Treffen in Riga die NATO-Verbündeten ihre Zusammenarbeit mit anderen Partnern und der EU besprechen, zudem die Diskussion über das neue Strategiekonzept der Allianz beginnen." Murniece bedankte sich für die Anwesenheit von internationalen NATO-Streitkräften in ihrem Land und appellierte an die US-Armee, ihre Präsenz zu verstärken.


Zuletzt sprach Murniece die wirtschaftliche Entwicklung an, sie zeigte sich erfreut, dass sich die Wachstumsprognosen für 2021 auf 5,3 Prozent erhöht hätten. Dennoch bedauerte sie in der üblichen Konkurrenzlogik, die sich diesmal gegen die unmittelbaren Nachbarn richtete, dass Lettland seit 15 Jahren hinter Estland und Litauen zurückbleibe. Die wirtschaftliche Entwicklung sei nicht als Aufgabe auf eine Regierung zu begrenzen, sondern eine langfristige Angelegenheit. Derzeit bereiteten die erhöhten Energiepreise Sorgen, Murniece begrüßt es, dass das steuerbefreite monatliche Mindesteinkommen ab 1. Januar auf 350 und Mitte des Jahres auf 500 Euro erhöht wird.


Murniece vermischte ihre nationalkonservativen Anschauungen mit einer leichten Distanzierung von der allgemeinen Konzentration auf das wirtschaftliche Wachstum: "Wenn die umgebende Welt immer unabsehbarer und unsicherer wird, dann muss man die Kraft in sich selbst suchen. Wenn wir zu unseren Wurzeln und zu den Quellen unserer Kraft zurückkehren, gestatten wir es den äußeren Umständen nicht, über unsere Identität zu bestimmen. Niemand hat nun gesagt, dass der Aufbau des Landes nur durch ununterbrochenes Wachstum charakterisiert ist. Zuweilen sind die Herausforderungen, die vor uns liegen, viel größer als wir scheinbar ertragen können. Die guten Zeiten wechseln oft mit bitteren Perioden."


Mit diesem Pessimismus konnte Murniece ihre Rede nicht beenden, deshalb fügte sie hinzu: "Die Geschichte bezeugt das Vertrauen in den lettischen Staat und sein Volk, wenn wir, einer den anderen, im Namen eines großen Ziels wechselseitig unterstützen, was uns ermöglichte, die schwierigsten Zeiten zu bewältigen. Es hat uns Weisheit, Weitsicht und den Eifer verliehen, die in entscheidenden Momenten die Sache regelten. Sonne dem ewigen Lettland! Gott segne Lettland!" 

UB 




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