Lettisches Centrum Münster e.V.

117151

Lettischer Saeima-Abgeordneter der Spionage für Russland verdächtigt
11.06.2021


Beschuldigter deutet “mafiöse Strukturen” an

Plenarsaal der Saeima, Foto: SaeimaCC BY-SA 2.0, Link

 

Am 10. Juni 2021 beschlossen die Parlamentarier, die Immunität ihres Kollegen Janis Adamsons aufzuheben. Damit entsprachen sie einem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft. Den Fahndern wurde somit gestattet, den Saskana-Politiker festzunehmen sowie seine Wohnung und seinen Arbeitsplatz zu durchsuchen. Der Sender LTV berichtet von 43 Verdachtsfällen. Adamsons soll für Russland Spionage betrieben haben. Er ist der erste Abgeordnete, der mit Spionage-Vorwürfen konfrontiert ist (lsm.lv).


Von den 100 Abgeordneten stimmten 69 für den Antrag, 5 dagegen, 4 enthielten sich, jeweils 11 stimmten nicht ab oder blieben der Sitzung fern. Adamsons ist Mitglied der größten Fraktion, Saskana, die 17 Sitze hat. Von seinen Fraktionskollegen stimmte zwar niemand für den Antrag, aber nur drei von ihnen votierten gegen die Aufhebung seiner Immunität.  


Maris Kucinskis (ZZS), vormals Ministerpräsident, ist nun Vorsitzender der Saeima-Kommission für Nationale Sicherheit. Nach seiner Auffassung existieren ernsthafte Belege für Adamsons` Spionagetätigkeit innerhalb der letzten vier Jahre, obwohl ihm der Einblick in Staatsgeheimnisse verwehrt blieb: “Herr Adamsons hatte keinen Zugang zu den geheimsten Dokumenten, aber in dieser Zeit doch zu Papieren mit eingeschränktem Zugriff, die nicht selten in der Saeima-Kommission der Verteidigung und des Inneren vorliegen und durchaus von Belang sind, weil man auf ihrer Grundlage Analysen anstellen kann.” Worin der Rechtsbruch genau besteht, bleibt bislang unklar. LTV nennt lediglich zugängliche Dokumente: Gesetzesänderungen, Informationen zum lettischen Militärbudget, Inspektionen an Lettlands Ostgrenze oder die Haltung der Baltischen Versammlung, des Forums der baltischen Parlamentarier, zu Nordstream 2. Kucinskis ist zuversichtlich, dass die Sicherheitsbehörden im Verlauf des Verfahrens konkreter darüber informieren, welche Beweise tatsächlich vorliegen.

 


Adamsons zeigte sich gegenüber LTV überrascht, er sei von den zuständigen parlamentarischen Gremien vor der Sitzung nicht informiert worden. Er habe Journalisten lediglich Interviews gegeben. Er wisse nicht, wessen er beschuldigt werde. Er wies auf “mafiöse Strukturen” hin, die nun zum Gegenschlag ausholten, ohne diese Andeutungen näher zu erläutern. Der 64-jährige Politiker kann auf eine doppelte Karriere zurückblicken: In sowjetischer Zeit absolvierte er eine Ausbildung als Marineoffizier und Grenzschützer, wurde KP-Mitglied, kam als Kapitän und Kommandeur in höhere Positionen im fernen russischen Osten. Russland zahlt ihm bis heute eine monatliche Rente von 700 Euro.

 


In den 90er Jahren kam Adamsons nach Lettland zurück und wurde stellvertretender Kommandeur der lettischen Marine, danach Kommandeur der Grenzschutzbrigade. Mitte der 90er Jahre startete er seine politische Karriere; während der Regierungszeit von Maris Gailis amtierte er ein Jahr lang als Innenminister und wurde vorübergehend Mitglied der damaligen rechtsliberalen Partei “Latvijas Cels”. Er war dann Saeima-Abgeordneter und Mitglied des Rigaer Stadtrats. Den Vorsitz der Saeima-Kommission für Verteidigung und Inneres musste er aufgeben, weil ihm der Verfassungsschutz den Zugang zu Staatsgeheimnissen verwehrte.

 


Eine Überprüfung des Militärs und Politikers hatte ergeben, dass er in sowjetischer Zeit für den KGB gearbeitet hatte. Lettische Richter verboten ihm 1998, für die Saeima zu kandidieren. Adamsons klagte dagegen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg und bekam Recht: Lettland musste ihm 10.000 Euro Kompensation zahlen. 2002 wurde Adamsons zu einer Geldbuße verurteilt, weil er namhafte Politiker der Pädophilie bezichtigt hatte, obwohl er gewusst haben soll, dass die Vorwürfe falsch waren.

 

Seit 2010 ist Adamsons Saskana-Abgeordneter, der stets größten Saeima-Fraktion, die aber noch nie an einer Regierung beteiligt war. Die Saskana ist sozialdemokratisch orientiert und gilt als Vertreterin der russischsprachigen Minderheit. Kritiker werfen ihr vor, mit Putins Regierungspartei “Vereintes Russland” einen Vertrag geschlossen zu haben und in manche Korruptionsfälle verwickelt zu sein. Während der Finanzkrise übten Saskana-Abgeordnete keynesianische Kritik an der Politik der inneren Abwertung. In Flüchtlings- und Migrationsdebatten zeigen sich Saskana-Parlamentarier deutlich gemäßigter und weltoffener als nationalkonservative Abgeordnete, die die Regierung unterstützen.

 


Saskana-Vorsitzender Janis Urbanovics hält seinen Parteifreund für einen fähigen und kenntnisreichen Politiker. Mit der Spionage-Angelegenheit müsse er sich selbst erst vertraut machen. Vor den Kommunalwahlen hätten manche gehofft, dass seiner Partei die Todesglocke läute. Doch diese Prognose habe sich nicht erfüllt, nun müsse man noch aktiver daran arbeiten, Saskana zu beseitigen. “Ich denke, dass es viele verborgene und offene politische Machenschaften gibt, die uns in den Abgrund führen wollen. Sie wollen unsere Wählerschaft übernehmen, andere diese Störungen aus dem Weg schaffen, die unaufhörlich mit den schädlichen Umfragen verbunden sind.” In Umfragen zum Wählerverhalten schneidet Saskana stets als stärkste Partei ab. Während sich die russischsprachige Wählerschaft auf Saskana konzentriert, verteilt sich die lettische auf sechs rechtsliberale und nationalkonservative Parteien und Parteienbündnisse, die in der Saeima vertreten sind, von denen zur Zeit vier Fraktionen eine fragile Mitte-Rechts-Regierung bilden (nra.lv).

UB 




      zurück