Lettisches Centrum Münster e.V.

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Lettisches Parlament durchkreuzt die Pandemiebekämpfung der Regierung
06.05.2021


KPV-Politiker fordern die Abberufung des Wirtschaftsministers Janis Vitenbergs

Max Liebermann, Münchener Biergarten, Foto: Neue Pinakothek, Gemeinfrei, Link

 

Die Pandemie-Bekämpfung der zerbrechlichen lettischen Mitte-Rechts-Koalition aus fünf Parteien stößt auf parlamentarischen Widerstand. Das Land befinde sich in “gefährlichem Fahrwasser”, bekundete Ministerpräsident Krisjanis Karins (Jauna Vienotiba, JV) am 29. April 2021 gegenüber der Presse. An diesem Tag stimmten 90 von 100 Saeima-Abgeordneten dafür, dass Restaurantbesitzer ihre Betriebe im Außenbereich wieder öffnen dürfen (saeima.lv). Damit hoben die Parlamentarier, unter ihnen die Mitglieder der Regierungsfraktionen, eine Covid-19-Beschränkung des Ministerkabinetts auf. Doch ob und wie lange Gäste ab dem 7. Mai tatsächlich wieder mit Speis und Trank unter freiem Himmel bedient werden dürfen, bleibt weiterhin unklar, weil Karins die juristischen Konsequenzen noch prüfen will. Derzeit halten sich die lettischen Inzidenzzahlen auf hohem Niveau. Staatspräsident Egils Levits wertete den Saeima-Beschluss als “Unfall”. Es sei eine “spontane Abstimmung” gewesen, das kein Misstrauen in die Regierung bekunde (lsm.lv). Politologinnen sehen einen Versuch der Abgeordneten, sich vor den Kommunalwahlen zu profilieren.


Im Interview mit LTV erläuterten zwei Abgeordnete aus Regierungsfraktionen die Entscheidung, Arvils Aseradens (JV) und Krisjanis Feldmans (Jauna Konservativa Partija, JKP). Aseradens widersprach Levits: “Es ist ja kein Geheimnis, dass diese Koalition recht kompliziert und schwierig ist. Und ich glaube wirklich nicht, dass das ein Unfall war.” (lsm.lv) Dieser Saeima-Beschluss sei das geringste Risiko gewesen. Der JV-Politiker wies darauf hin, dass die JKP noch radikalere Vorschläge vorgebracht und es sich bei dieser Lockerung schon um einen Kompromiss zwischen den Abgeordneten gehandelt habe. Feldmans berichtete von der Experten-Anhörung in einem Saeima-Ausschuss. Demzufolge bestehe außerhalb geschlossener Räume kein besonderes Infektionsrisiko. “Sowohl die Kommission als auch später die Saeima waren dafür. Man kann sagen, dass die ganze Saeima diesen Beschluss unterstützt. In allen gesellschaftlichen Gruppen, die Wähler aller Parteien haben offensichtlich den Willen nach einem anderen Ausweg zum Ausdruck gebracht, nach einem wirklichen Krisenmanagement. Die Saeima-Abgeordneten hatten den Eindruck, dass in der Regierung Beamte die Entscheidungen vorbereiten, über deren Verständnis der realen Situation vor Ort Zweifel bestehen.” Außerdem meinte Feldmans: “Die Epidemiologen informierten größtenteils über die gegenwärtige Lage, über jene Vektoren, deren Kennziffern steigen oder sich verringern, wie wir im Vergleich zu anderen Ländern dastehen und im Großen und Ganzen habe ich keinen Widerstand gespürt.” Die JKP-Fraktion erwägt offenbar, weitere Regierungsbeschlüsse zu kippen.


Ministerpräsident Karins klagt, dass die Parlamentarier ihr Vorhaben nicht mit seinem Kabinett abgesprochen hätten. Die Saeima lebe “in ihrem eigenen Informationsraum”, daher bespreche sie mögliche Lockerungen. Auch Gesundheitsminister Daniels Pavluts (Attistibai/Par! AP) äußerte sein Bedauern: “Gewiss widerspiegeln die Abgeordneten die gesellschaftliche Stimmung. Ich als Regierungsvertreter muss das zur Kenntnis nehmen.” Doch die Regierung halte sich an den Empfehlungen der Experten. Man könne sich auch draußen mit Covid-19 infizieren, falls die Menschen keine Masken tragen und keine Distanz wahren.  


Politologin Ilga Kreituse wertet den Saeima-Beschluss kritisch. Die Abgeordneten hätten nicht mit “klarem Kopf” entschieden. Sie hätten ihre Eigenständigkeit gerade dort demonstriert, wo sie am allerwenigsten benötigt werde. Kreituse weist auf das schlechte Abschneiden der Parteien in Umfragen hin, zudem wollten sie sich vor den Kommunalwahlen profilieren. Besonders die JKP befinde sich in einer schwachen Position. Die Regierung habe in dieser Frage keine Mehrheit, die Abgeordneten hätten ihr Misstrauen bekundet. Kreituses Kollegin Iveta Kazoka sieht die Sache ähnlich. Das, was gestern noch vereinbart wurde, sei heute einerlei. Das sei eine fundamentale Führungskrise: “In diesem Fall wird recht deutlich, dass, wenn man unser Land mit einem Schiff vergleicht, es von niemandem gesteuert wird. Mir scheint, dass die Koalition einfach zusammenkommen und sich versichern muss, ob sie überhaupt noch fähig ist, die Zusammenarbeit fortzusetzen.” Falls dies nicht möglich ist, sei vielleicht der Augenblick gekommen, die Qual zu beenden und eine neue Regierung zu bilden. Falls es derart weitergehe, diskreditiere das sowohl die Arbeit der Regierung als auch der Saeima. “Und wir sehen allgemein, dass die Menschen in Lettland nicht nur darüber enttäuscht sind, wie die Regierung handelt, sondern tatsächlich auch verwirrt sind.”


Auch wenn die JKP offenbar ein besonderes Interesse an diesem Lockerungsbeschluss hatte, um sich als entschlossene Partei darzustellen, ist der entsprechende Gesetzesentwurf nicht in ihrer Fraktion, sondern laut LSM im Wirtschaftsministerium entstanden. Dessen Chef Janis Vitenbergs bereitet Karins ein weiteres Problem. Der Minister wechselte im April “im Hinblick auf die Zukunft” von der rechtspopulistischen Kam pieder valsts? (KPV) zum nationalkonservativen Koalitionspartner Nationale Allianz (NA) (apollo.lv). Nun ist der Ministerproporz aus den Fugen. Die kleinere NA-Fraktion verfügt jetzt über genauso viele Abgeordnete wie die größere der KPV, der momentan noch größten Regierungspartei, die aber wegen ihrer inneren Widersprüchlichkeit und Zerstrittenheit kaum Chancen auf den Wiedereinzug in die nächste Saeima hat. Die KPV verlangt nun vom Ministerpräsidenten, Vitenbergs aus dem Amt abzuberufen.


Trotz der vielen Schwierigkeiten, auf stürmischer See Kurs zu halten, könnte Karins weiterhin Kapitän auf dem Regierungsschiff bleiben. Weder JKP noch KPV können angesichts miserabler Ergebnisse in Wählerumfragen ein Interesse an Neuwahlen haben, statt dessen kühlten sie das Mütchen mit einer für das Mitregieren weniger riskanten Lockerungsübung (lsm.lv)

UB 




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