Kartupelis nennen die Letten das Grundnahrungsmittel, das sie genauso gern essen wie die Deutschen. Nun wächst und gedeiht fortan das Lieblingsgemüse des Alten Fritz (“Wo nur ein leerer Platz zu finden ist, soll die Kartoffel angebaut werden”) auch in einer künstlichen Variante, die
BASF-Biochemiker konstruiert haben
. EU-Kommissar John Dalli hat sie am 2.3.10 für den landwirtschaftlichen Anbau zugelassen. Im Gegensatz zu deutschen Volksvertretern haben sich lettische Politiker gegen das Kunstgewächs namens Amflora ausgesprochen. Darüber berichtete am 3.3. die LTV1-Nachrichtensendung Panorama. Auch die Tageszeitung Diena widmete sich einen Tag später diesem neuen EU-Streit.
Amflora wird nicht gekocht, püriert oder gebraten auf den Mittagstisch gelangen. Dieses Gen-Gewächs taugt vor allem zur verbesserten Stärke-Produktion, einem Rohstoff, wie sie etwa die Papierindustrie benötigt. Doch Dalli genehmigte auch, dass die Abfälle dieser BASF-Kreation als Tierfutter kostengünstig oder vielleicht sogar mit Gewinn entsorgt werden. Hier beginnen die Sorgen der Kritiker: Der Verzehr der Genkartoffel könnte dazu führen, dass lebenswichtige Antibiotika nicht mehr wirken. Und wenn der Mensch Tiere verspeist, die Amflora futterten, besteht das Risiko, dass er vor tödlichen Erkrankungen wie Tuberkulose nicht mehr geschützt ist.
In einem Interview mit euronews verteidigte der EU-Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz seine umstrittene Entscheidung. Nach jahrelangem Zulassungsverfahren sei die Kommission von der Sicherheit überzeugt. Doch auf Nachfrage des Journalisten räumte Dalli ein, dass er eine Resistenz gegen Antibiotika nicht vollständig ausschließen könne. Dies sei aber “selten” und nach wissenschaftlicher Einschätzung bestehe keine Gefahr für das menschliche Leben.
Vincent van Gogh malte Kartoffelesser, Abbildung auf Wikimedia Commons
Ähnlich unbekümmert vertritt die Bundesregierung BASF-Interessen. welt.online wies am 2.3. auf den Koalitionsvertrag der Bundesregierung hin: „Der Anbau der gentechnisch veränderten Stärkekartoffel Amflora für eine kommerzielle, industrielle Verwertung wird unterstützt.“ Bundes-Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner begrüßt denn auch “das Signal” der EU-Kommissare, das der BASF grünes Licht für die kommerzielle Nutzung auf landwirtschaftlichen Flächen gibt. Zukünftig wird Amflora auf deutschen, schwedischen und tschechischen Feldern sprießen.
Derweil stehen lettische EU-Parlamentarier in Brüssel und Straßburg auf verlorenem Posten. Mit ihren acht Stimmen konnten sie gegen den Kommissionsbeschluss nichts ausrichten. Dieser erfolgte laut standard.at im Kreis der 27 EU-Kommissare ohne Gegenstimme. Demnach hat auch das populäre lettische Kommissionsmitglied Andris Piebalgs Dallis` Entscheidung befürwortet. In anderen kleineren EU-Ländern herrscht dagegen ebenfalls Skepsis. So will der österreichische Gesundheitsminister Alois Stöger laut standard.at “umgehend ein nationales Anbauverbot” erlassen. Als "vorschnell" und "nicht nachvollziehbar" bezeichnete Elisabeth Köstinger, EU-Abgeordnete der Österreichischen Volkspartei, die Amflora-Freigabe.
Deutsche wie Letten sprechen sich in Meinungsumfragen mit großen Mehrheiten gegen den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen aus. Die lettische Regierung will keine Amflora-Produktion auf ihrem Territorium unterstützen. Im Panorama-Interview wies Inese Aleksejeva, Ressortleiterin im lettischen Landwirtschaftsministerium, darauf hin, dass Lettland die finanziellen Mittel fehlten, um das Risiko Genkartoffel selbst zu überprüfen. Zugleich liege es in der Hand der Kommunen und jedes einzelnen, sich zu schützen. Nach lettischem Recht können lettische Kommunalparlamente den Amflora-Anbau auf ihrem Gebiet untersagen. Die lettische Regierung ist dagegen nicht befugt, ein solches Verbot für das gesamte Land zu erlassen. Einen absoluten Schutz vor amfloragenhaltigen Lebensmitteln gewährt ein Anbauverbot ohnehin nicht. Viele Lebensmittelimporte des EU-Binnenmarktes sind in den Regalen lettischer Supermärkte zu finden. Der lettische Verbraucher könne, so Aleksejeva gegenüber Diena, nicht erkennen, ob Milch, Eier oder Fleisch von Tieren stammten, die gentechnisch verändertes Futter erhielten. Die Kennzeichnungsbestimmungen der EU verwirrten mehr, als dass sie den Konsumenten aufklärten.